Bei der Hämodialyse ist der Shunt die „Lebens­ader“ mit der geringsten Infektions­gefahr für den Patienten. Der Katheter ist als Zugang ein­facher, gilt aber als „Achillesferse“. Das KfH baut deshalb jetzt eine Shunt-Initiative auf.

Shunt oder Katheter? Die Frage nach dem besten Zugang stellt sich jedem, der auf die Hämodialyse angewiesen ist. „Das ist ein für den Patienten wirklich relevantes Thema“, sagt Prof. Dr. Markus Hollenbeck. Der Nephrologe und Internist leitet das KfH-Nieren­zentrum in Bottrop und ist einer der führenden Experten in Deutschland, wenn es um die Frage der passenden Pforte für die Hämo­dialyse geht. Eine der Hauptvarianten für den Blutanschluß mit dem Dialysegerät ist der zen­tralvenöse Katheter: ein in eine große Vene (meist die obere Hohlvene) geschobener Kunst­stoffschlauch, der bis in den rechten Vorhof des Herzens reicht, auch Demers-Katheter genannt. Hollenbeck findet: „Wir haben in Deutschland bei den Patienten zu viele Katheter.“ Denn der birgt ein vergleichsweise hohes Risiko für Infektionen und Thrombosen. Genau­so zeigen Studien: Das Risiko, zu ver­sterben, ist bei der Zugangsvariante Katheter am größten.

Seit dem Jahr 2016 legt eine bundes­weit geltende Richtlinie zur Qualitäts­sicherung fest, daß in Dialyseeinrichtungen der Kathe­teranteil in der Hämodialyse unter 30 Pro­zent liegen soll. Ein hoher Wert wird als negatives Qualitätsmerkmal gesehen. Im KfH lag der Anteil der Hämo­dialysepatienten, die über einen Kathe­ter dialysierten, im Juli 2018 bei 21,4 Prozent. Idealerweise dialysieren Patienten über die Zu­gangsvariante des Shunts.

Goldstandard Shunt

Der Shunt (englisch für Weiche, Nebenschluß) ist für Patienten, die dauerhaft hämodialysiert wer­den, erstes Mittel der Wahl. Bei dieser auch arte­riovenöse Fistel genannten Zugangsvariante ver­bindet ein Chirurg eine oberflächliche Vene mit einer Arterie. Danach strömt das Blut mit höhe­rem Druck durch die Vene – sie weitet sich und entwickelt eine dickere Gefäßwand. Diese „Dialy­sefistel“ läßt sich später gut mit der Dialysenadel anstechen und hat in der Regel einen ausreichen­den Blutfluß. Der ideale Platz dafür ist am Arm, soweit wie möglich von der Körpermitte ent­fernt. Meist wird der Shunt am Unterarm ober­halb des Handgelenks platziert. Die Shunt-Anlage gilt als „Goldstandard“ der Hämo­dialyse: mit weniger Infek­tionen und Komplikationen, der besten Überlebensrate und dem besten Blutfluß. Ist die Möglichkeit eines Shunts gegeben, sollte der zentralvenöse Vorhofkatheter vermieden werden, rät Hollenbeck.

Katheter sofort verwendbar

Ganz ohne Katheter geht es dennoch nicht. Er ist beispielsweise die eindeutig bessere Lösung für Patienten mit schwerer Einschränkung der Pumpfunktion des Herzens. Hollenbeck erklärt das für Laien sehr anschaulich: „Durch den Shunt fließt im Schnitt ein Liter Blut pro Minute. Das Herz, das in Ruhe viereinhalb Liter pumpt, muß dann in Ruhe fünfeinhalb pumpen. Für ein gesun­des Herz ist das kein Problem, für herzschwache Patienten aber eine zu große Belastung.“ Auch wenn es schnell gehen muß, ist der Katheter zu­nächst alternativlos. Er kann sofort für die Dialyse verwendet werden, der Shunt hingegen sollte frü­hestens vier Wochen nach seiner Anlage punktiert werden. Zudem kön­nen Gefäßerkrankungen das Anlegen des Shunts erschwe­ren oder unmöglich ma­chen. Auch wenn die 30-Prozent-Marke klar unter­schritten wird – weil die Vorteile des Shunts deutlich überwiegen, wird im KfH eine Shunt-Initiative aufgebaut. Hollenbeck skizziert: „Es geht darum, das Management rund um den Dialysezugang zu verbessern. Wir wollen, daß je­der Patient den besten für sich geeigneten Dialy­sezugang bekommt. Und wir glauben, daß einige Patienten, die gut einen Shunt haben könnten, im Augenblick noch über einen Katheter dialysiert werden.“

Auch in den KfH-Zentren ist der Anteil der Katheterzugänge in den vergangenen Jahren etwas gewachsen. Dies zeigt die QiN-Datenbank des KfH zur Qualitäts­sicherung, in der mehr als 18.000 Patienten aus 200 KfH-Dialysezentren beobachtet werden: Im Jahr 2011 lag der Kathe­teranteil hier noch bei 19,5 Prozent.

Mehr Aufwand beim Shunt Wo liegen die Gründe, daß nicht noch mehr Pati­enten über den Shunt hämodialysieren? Eine wichtige Rolle spielt die Zeit. Steht bei einem nie­renkranken Patienten die Dialysepflicht zur De­batte, ist eine frühzeitige Vorstellung beim Ne­phrologen und Gefäßchirurgen wichtig, um den bestmöglichen Zugang zu sichern und in die Wege zu leiten. Ein Shunt sollte drei Monate vor dem geplanten Hämodialysebeginn angelegt werden, empfehlen die Leitlinien der Fachgesellschaften. Die Fistel braucht Zeit, sich zu entwickeln, bevor sie punktiert werden kann. Zeit, die manche Pati­enten nicht haben oder sich nicht nehmen wollen. Mehr als die Hälfte startet daher mit dem Kathe­ter.„Ein Katheter ist rasch gelegt, einfach anzu­schließen und funktioniert fast immer. Das ist für den Patienten schon sehr attraktiv. Die andere Va­riante, der Shunt, ist meist die bessere, bedeutet aber immer mehr Aufwand“, sagt Hollenbeck. Für die Anlage des Shunts ist häufig ein stationärer Aufenthalt erforderlich und auch die Pflege ist aufwendiger.

Argument Punktionsschmerz

Hinzu kommt der Punktionsschmerz. Während der Katheter einfach angeschlossen wird, muß die Fistel bei jeder Hämodialyse neu per Nadel punktiert werden. „Es gibt Patienten“, berichtet Hollenbeck, „die haben zwar einen Shunt, sie wol­len ihren Katheter aber trotzdem nicht loswer­den, weil sie nicht möchten, daß der Shunt punk­tiert wird. Der Katheter hingegen ist bequem, funktioniert immer, tut nicht weh.“ Beim Shunt komme es eben auch auf das Punktionskönnen der Pflegekraft an. „Für die Pflege ist die Shunt-Punktion in der Tat das am meisten Herausfor­dernde in der klinischen Tätigkeit.“ Den Königsweg der Selbstpunkti­on schaffen nur wenige Patienten. Die Quote liegt unter einem Pro­zent. Bisweilen hegen Patienten auch ästhetische Bedenken gegenüber dem Shunt, wollen „nicht so eine Wurst am Arm haben“.

Zahlen und Fakten

Es gibt zig Statistiken zum Zahlenverhältnis von Shunt und Katheter. Manche haben deutliche regio­nale Unterschiede ermittelt. Während der internationalen DOPPS-Studie zufolge im Jahr 2010 in Kanada 50,8 Prozent der Patienten per Katheter hämodialysierten, waren es in Japan le­diglich 1,7 Prozent. Eine genaue Erklärung für diese Diskrepanz hat die Wissenschaft noch nicht geliefert. Hollenbeck kann nur mutmaßen: Japa­ner würden mit geringeren Blutflußraten hämo­dialysieren, Plastik- statt der bei uns üblichen Stahlnadeln verwenden. Auch genetische Unter­schiede könnten in Frage kommen. Ande­rerseits zeige das Beispiel der USA, wo der Kathe­teranteil in den vergangenen zehn Jahren von knapp 30 Prozent auf unter 10 Prozent gefallen ist, daß strukturelle Veränderungen nach dem Motto „Fistula first, Catheter last“ (Fistel zuerst, Katheter zuletzt) doch vergleichsweise schnell umgesetzt werden können.

Auch innerhalb Deutschlands existieren Unter­schiede. So war beispielsweise nach dem Bericht des Gemeinsa­men Bundesausschusses, dem obersten medizini­schen Beschlußgremium, für das vierte Quartal 2017 der Katheteranteil volljähriger Hämodialy­sepatienten mit rund 10 Prozent in Berlin am niedrigsten, in Hessen mit 22,5 Prozent am höchsten.

Spezialchirurgen sind gefragt

Wie ist die doch deutliche Abweichung zwischen den Bundesländern zu erklären? Auch hierfür wagt Hollenbeck eine Erklärung: Der niedrige Ka­theteranteil in der Hauptstadt könne mit der Ex­pertise der Chirurgen zusammenhängen: „In Ber­lin gibt es fünf hochprofessionelle Shunt-Zentren, und die Entfernungen für den Patienten sind ge­ring.“ In jedem Krankenhaus kann ein Katheter ge­legt werden. Einen guten, er­fahrenen Shunt-Ope­rateur zu finden, das ist schwieriger. Klar scheint: Die Zusammenarbeit zwischen Nephrologen und Chirurgen kann noch intensiviert werden. Immer­hin gibt es inzwischen 14 zertifi­zierte Shunt-Zentren in Deutsch­land. „Das ist ein guter Ansatz“, sagt Hollenbeck. Schließlich hat er selbst zusammen mit Kollegen in einer QiN-ba­sierten Studie ermittelt: Befinden sich ein KfH-Nierenzentrum und ein Shunt-Zentrum auf dem gleichen Gelände, reduziert das den Katheteran­teil um durchschnittlich acht Prozent. Außerdem, und auch das ist eine wichtige Information für die Patienten: In den Spezialzentren gelegte Shunts funktionieren in bis zu 90 Prozent aller Fälle.

Die Kunststoff-Variante

Wenn der Chirurg keine Möglichkeit sieht, eine Vene und Arterie direkt zu verbinden, kann der Kunststoff-Shunt eine Alternative sein. Der Ope­rateur schaltet dann eine Kunststoff-Prothese da­zwischen, in die später punktiert wird. Die Kunst­stoff-Variante kann je nach Prothesenmaterial in­nerhalb der nächsten Tage oder zwei Wochen nach der Implantation genutzt werden. Sie hat zwar Nachteile gegenüber dem klassischen Shunt (unter anderem ein höheres Infektions- und Ge­rinnungsrisiko), birgt aber Vorteile gegenüber dem Katheterzugang (höhere Überlebensrate, weniger Einschränkungen beim Baden und Schwimmen).Gleichwohl, und das ist die gute Nachricht für die Katheterpatienten, sind auch die Ergebnisse für den Katheter besser geworden. „Wir haben heute mit guter Hygiene und besse­rem Handling weniger Infektionen. Aber die Rate bleibt zehnfach höher als beim Shunt.“

Shunt-Initiative will vernetzen

In Zukunft, das wünscht sich Hollenbeck, sollten sich alle Beteiligten „mit Liebe“ um den Dialyse­zugang kümmern. Zunächst der Patient. Er solle seinen Shunt kennen, müsse sich ein bißchen in ihn einfühlen, damit er ihn selbst beobachten kann. Der Arzt empfiehlt: Einmal am Tag den Blutfluß im Shunt abhören (Rauschen gilt als ein gutes Signal) und ihn abfühlen (ein funktionie­render Shunt pulsiert). Das kann man sich vom Pflegepersonal zeigen lassen.

Die zweite Gruppe der Beteiligten sind die Pflege­kräfte. Sie müssen kontinuierlich in der Shunt-Untersuchung geschult werden, um frühzeitig Shunt-Probleme erkennen zu können. Auf ärztli­cher Seite schließlich sollen die Nephrologen die Kooperation mit den Shunt-Chirurgen pflegen und intensivieren.

Darüber hinaus wird im Rah­men der Shunt-Initiative des KfH geprüft, ob die ultraschall­gesteuerte Punktion Vorteile für den Patienten wie für die Pflege mit sich bringen kann. Letztlich gilt es, Patienten, Pflege und Ärzte gleichermaßen zu sensibilisieren und die Vernet­zung zwischen Pflege, Gefäßchirurgie und Ne­phrologie zu intensivieren.

Wenn es überhaupt noch eines letzten Arguments pro Shunt bedarf: Seine Langzeitfunktion ist unschlagbar. Viele Pati­enten nutzen ihn jahr­zehntelang. „Wir haben in Deutschland einen Patienten, der dialysiert seit 48 Jahren über seinen Shunt.“

aus: KfH aspekte 1-19