Solidarität über Grenzen hinweg

Aufgaben

Die Internationale Stiftung Eurotransplant (ET) wurde bereits 1967 gegründet und ist damit die älteste internationale Organisation dieser Art in der Welt. Als gemeinnützige Organisation ist sie die zentrale Vermittlungsstelle für postmortal gespendete Organe in derzeit sieben europä­ischen Ländern (Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Österreich und Slowenien) mit mehr als 120 Millionen Einwohnern. Als Vermittler zwischen Spen­der und Empfänger hat Eurotransplant bei der Suche nach Spenderorganen zur Transplantation und deren Verteilung eine Schlüsselrolle inne. Die Verteilungsregeln innerhalb des Eurotransplant-Verbundes sind dabei auf zwei Hauptziele gerichtet: Zum einen werden durch die Vergrößerung der Spender- und Empfängergruppe die Auswahlmöglichkeiten optimiert – mit dem Ergebnis einer Verbesserung der Verträglichkeit (z.B. durch Berücksichtigung von Gewebeeigenschaften). Dadurch erhöht sich die Aussicht auf einen Erfolg der Transplantation deutlich. Zum anderen sollen die vereinbarten Verteilungsre­geln ermöglichen, wartende Patienten in gerech­ter Weise zu berücksichtigen. Dazu gehört u. a. auch die Möglichkeit, Patienten mit besonderer Dringlichkeit frühzeitig mit einem neuen Organ zu helfen.

Geschichte und rechtliche Grundlage

In den Jahren nach der ersten klinischen Nierentrans­plantation 1954 wurde rasch deutlich, dass für das Ergebnis der Nierentransplantation die Übereinstimmung von Gewe­befaktoren (den sogenannten „Human Leukocyte Antige­nen“ kurz: HLA) zwischen Spender und Empfänger von Bedeutung ist. Der niederländische Immunologe und Transplantationsmediziner Johannes Joseph van Rood hatte die visionäre Idee, durch eine Berücksichtigung dieser Gewebefaktoren die Transplantationser­gebnisse deutlich verbessern zu können. Durch eine zentrale Registrierung aller Patienten, die auf ein Spenderorgan warteten, und die Meldung aller potentiellen Spender an diese zentrale Vermittlungsstelle sollte eine möglichst gute Übereinstimmung zwischen Gewebefaktoren von Transplantat-Empfängern und -Spendern erreicht werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde die Stiftung Eurotransplant ins Leben gerufen. Anfangs handelte es sich um einen mehr oder weniger losen Verbund von Transplantationszentren. Doch schon nach wenigen Jahren zeigten sich die klaren Erfolge hinsichtlich der durch Eurotransplant unter Berücksichtigung des HLA-Systems vermittelten Nierentransplan­tate, so dass Eurotransplant rasch wuchs.

Harmonisierung von Spendermeldung und Organspende

Damit Organe zwischen verschiedenen Trans­plantationszentren, insbesondere, wenn sie sich in verschiedenen Ländern befinden, vermittelt werden können, sind einheitliche Regeln zur Spenderuntersuchung, Organentnahme und zum Transport der Spenderorgane notwendig. Zur genauen Spendercharakterisierung werden neben allgemeinen Daten, wie Größe, Gewicht und Blutgruppe des Spenders, detaillierte Informationen zur Todesursache, zu eventuellen ak­tuellen oder zurückliegenden Erkrankungen und zur Funktion der verschiedenen Organe erfasst. Hierzu werden Laboruntersuchungen, Röntgen- und Ultraschalluntersuchungen durchgeführt. Selbstverständlich werden auch die schon erwähnten Gewebeeigenschaften ermittelt.

Anhand dieser Daten kann Eurotransplant die am besten geeigneten Organempfänger ermit­teln, und die Transplantationszentren können sich schon vor dem Transport des Organs ein gutes Bild vom Spenderorgan machen. Seit einigen Jahren erfolgt die Übermittlung dieser Daten elektronisch, was zu einer Beschleunigung des Vermittlungsprozesses bei gleichzeitig erhöhter Datensicherheit geführt hat. Auch für die Ent­nahme der Organe durch die Chirurgen im Spenderkrankenhaus sowie die anschließende Verpackung des Organs und den Transport sind einheitliche Regeln festgelegt. So bleibt die Qualität des Spenderorgans bestmöglich bewahrt.

Vermittlungsregeln

Seit Einführung der Organtransplantation besteht, bezogen auf die Zahl der Patienten, die in Lebensqualität und/oder Lebenserwar­tung von einer Transplantation profitieren könnten, ein Mangel an Spenderorganen. Das stellt die verantwortlichen Mediziner bei der Verteilung der Spenderorgane seit jeher vor schwierige Entscheidungen. Eurotransplant unterhält für jedes Organ be­ratende Gremien (sog. „Advisory Committees“), in denen medizinische Experten aus allen Eurotransplant-Ländern vertreten sind. Von diesen werden – unter Berücksichtigung der durch Eurotransplant gewonnenen Erkennt­nisse einerseits und des allgemeinen Fortschritts der Transplantationsmedizin andererseits – Empfehlungen für die Verteilung von Organen regelmäßig weiterentwickelt.

Für die Bundesrepublik Deutschland ist im Transplantationsgesetz festgelegt, dass die Vermittlung von Organen nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft unter besonderer Berücksichtigung Von Erfolgsaussicht und Dringlichkeit an geeig­nete Patienten zu erfolgen hat. Die Verteilungsre­geln für Deutschland werden von der „Ständigen Kommission Organtransplantation“ der Bundes­ärztekammer in Richtlinien festgelegt.

Aufnahme auf die Warteliste

Über die vom Patienten beauftragte Aufnah­me auf die Warteliste wird von den Transplantationszentren entschieden. Zum Zeitpunkt der Aufnahme auf die Warteliste werden von den Transplantationszentren neben allgemeinen Da­ten wichtige für die Verteilung der Spenderorgane bedeutsame Informationen an Eurotransplant übermittelt. Neben der Blutgruppe sind je nach Organ weitere Angaben erforderlich. Für die Nierenallokation ist zum Beispiel die Gewebetypisierung mittels des HLA-Systems verpflichtend, ebenso ob Antikörper gegen bestimmte Gewebemerkmale vorliegen (sog. Sensibilisierung).

Hinzu kommen Angaben zum für den individuellen Empfänger akzeptablen – Bereich des Spenderalters sowie organspezifische Größenkriterien. Zusammenfassend ergibt sich aus allen Parametern für jeden Patienten auf der Warteliste sein spezifisches Profil, das Grundlage für den Vermittlungsprozess ist. Dieses Profil kann – je nach klinischer Situation des Patienten – auf der Warteliste angepasst werden.

Allgemeine Grundsätze

Das deutsche Transplantationsgesetz schreibt eine Allokation (Zuteilung) nach Dringlichkeit und Erfolgsaussicht vor. Nach den Richtlinien der Bundesärztekammer gelten als Kriterien des Erfolgs einer Transplantation das Überleben des Empfängers, die längerfristig gesicherte Trans­plantat­funktion sowie die verbesserte Lebensqualität. Als Maß für die Dringlichkeit einer Transplantation wird der Schaden, der durch die Transplantation verhindert werden soll, gewer­tet. So werden Patienten, die ohne Transplantation unmittelbar vom Tod bedroht sind, der Gruppe der Patienten mit erhöhter Dringlichkeit zugeordnet und bei der Organzuteilung vorrangig berücksichtigt.

Kinder

Da Kinder, die mit einem fortgeschrittenen Organversagen auf eine Transplantation warten müssen, in ihrer Entwicklung in der Regel beson­ders beeinträchtigt sind, bestehen für die ver­schiedenen Organe Vermittlungsregeln, die Kin­der bevorzugt berücksichtigen.

Akut lebensbedrohliche Erkrankung

Patienten mit akuter lebensbedrohlicher Erkrankung, denen durch eine Organtransplantation geholfen werden kann, werden bei der Organvergabe vorrangig berücksichtigt. Diese Aufnahme in die höchste Dringlichkeitsstufe („high urgency“) erfolgt nach für die jeweiligen Organe festgelegten Kriterien, die vom ärztlichen Dienst von Eurotransplant und/oder externen Auditoren überprüft werden.

Besondere Regeln für die Zuteilung von Spendernieren

Bei der Vermittlung von Spendernieren wird der Grad der Übereinstimmung der Gewebeeigenschaften (HLA-Antigene) berücksichtigt. Je besser die Übereinstimmungen zwischen Spender und Empfänger, desto höher ist die Erfolgsaussicht der Transplantation und demzufolge die Priorität auf der Warteliste. Um einen Ausgleich für die Patienten zu schaffen, die aufgrund ihrer Gewebemerkmale, Blutgruppe und/oder bestehender Sensibilisierung nur eine geringe Chance auf einen geeigneten Spender haben, wird die sog. Mismatch-Wahrscheinlichkeit bei der Zuteilung ausgleichend berücksichtigt.

Da das Risiko von Komplikationen an der Dialyse und damit die Dringlichkeit einer Transplantation mit der Länge der Wartezeit zunimmt, wird auch die Wartezeit bei der Organverteilung berücksichtigt. Um die Wartezeit unabhängig vom Anmeldeverhalten der Dialyse- bzw. Transplantationszentren zu berechnen, ist als Beginn der Wartezeit einheitlich der erste Tag der Dialyse festgelegt.

Die sofortige und adäquate Funktionsaufnahme des Transplantats hängt u. a. von der Ischämiezeit (Zeit von der Entnahme des Organs bis zu seiner Transplantation) ab. Auch diese wird bei der Organverteilung berücksichtigt. Entsprechend werden Empfänger, die sich in derselben Region wie der Spender befinden (was z.B. eine kurze Transportzeit der Organe nach der Entnahme ermöglicht) bei der Zuteilung bevorzugt.

Hoch immunisierte Patienten

Ein Teil der Patienten auf der Warteliste zur Nierentransplantation entwickelt Antikörper gegen spezielle Gewebemerkmale. Häufigste Ursache hierfür sind vorausgegangene Transplanta­tionen, Gaben von Blutkonserven oder Schwangerschaften. Patienten mit Antikörpern gegen sehr viele verschiedene Gewebemerkmale gelten als hoch immunisierte Patienten. Wenn sich für sie trotz der zahlreichen verschiedenen Antikörper ein geeignetes Spenderorgan findet, werden sie bei der Organzuteilung bevorzugt berücksichtigt – angesichts ihrer ansonsten sehr geringen Chancen auf ein geeignetes Transplantat.

„Eurotransplant Senior Programm“

Auf dieses spezielle Programm werden wir in einer der nächsten Ausgaben ausführlicher eingehen.

Organaustauschbilanz

Selbstverständlich wird bei der Verteilung der Spenderorgane auch die „Organaustauschbilanz“ zwischen den verschiedenen Eurotransplant­-Ländern berücksichtigt. Ansonsten würde es da­zu kommen, dass aus den Ländern mit einer ho­hen Organspenderate (z. B. Belgien und Öster­reich) permanent Spendernieren in die Länder mit einer niedrigen Organspenderate (z B. Deutschland und die Niederlande) exportiert würden. Dies würde eine Überstrapazierung der internationalen Solidarität im Eurotransplant­-Verbund bedeuten.

Zusammenfassung

Die internationale Kooperation bei der Organ­transplantation hat sich bewährt. Die Verteilungsregeln verbessern die Aussicht auf eine langfristige Funktion der Spenderorgane durch eine gute Übereinstimmung zwischen Spender und Empfänger, und sie eröffnen dringlichen Pa­tienten die Chance auf eine rechtzeitige Transplantation. Voraussetzung für den Organaustausch sind dabei einheitliche Absprachen zur Spendercharakterisierung, zu Organentnahme und -transport. Durch regelmäßige Treffen von Experten aus allen beteiligten Eurotransplant­-Ländern gelingt es, die Regelungen kontinuierlich und harmonisch an neue Erkenntnisse der Wissenschaft anzupassen.

Das daraus resultierende transparente, objektive und überprüfbare Verteilungssystem durch Eurotransplant mit seiner Einbindung in natio­nale gesetzliche Regelungen hat dabei – insbesondere auch durch den Aspekt der Solidarität über die Ländergrenzen hinweg – wesentlich zur Akzeptanz der Transplantation in den Eurotransplant-Ländern beigetragen.

Dr. Axel Rahme l Eurotransplant International Foundation / aus KfH aspekte 2/10