Interview mit Autorin Christine Gitter über Beipackzettel und den richtigen Umgang mit Medikamenten

Nicht jeder nimmt sich die Zeit oder hat Lust, sich die Beipackzettel von Medikamenten komplett durchzulesen. Welche Infos darauf sind aber wichtig und sollten daher nie überlesen werden? Zu dieser und anderen Fragen äußert sich Apo­thekerin und Autorin Christine Gitter im Inter­view mit der VdK-Zeitung.
Interview: Mirko Besch

Frau Gitter, Beipackzettel sind meist lang und ausführlich geschrieben, zudem oft um­ständlich formuliert. Viele Patienten sparen sich daher die Lektüre. Hand aufs Herz: Lesen Sie Pa­ckungs­beilagen von Anfang bis Ende?
Klar, Packungsbeilagen in der momentanen Form sind abschreckend. Und das nicht nur, weil man sie nie wieder ordentlich zu­sammengefaltet bekommt. Aber ja: Ich lese sie von Anfang bis Ende. Das mache ich schon aus fachlichem Interesse. Ich kann jedoch gut verste­hen, wenn Patienten das nicht tun.

Müssen Beipackzettel denn wirklich so verbrau­cherunfreundlich geschrieben sein?
Der Wortlaut einer Packungsbei­lage ist gesetzlich festgelegt. Was einerseits na­türlich gut ist, weil so sichergestellt ist, dass keine wichtigen Infor­mationen unter den Tisch fallen. Auf der anderen Seite liest sie sich aber auch so trocken wie ein Gesetzestext. Und aufgrund der immensen Infor­mationsdichte ist die Schrift des­halb in den meisten Fällen auch viel zu klein. Zum Glück wurde das Problem erkannt, und die EU-Kommission hat sich des Themas angenommen. Eine Studie hat ergeben, daß Verständlichkeit und Lesbarkeit für viele Patienten die Hauptpro­bleme sind. Senioren und Personen mit Lese- und Schreibschwächen sind dabei besonders überfor­dert. Wann diese Erkennt­nisse konkret umgesetzt werden sollen, ist allerdings noch nicht bekannt.

Welche Informationen sollte man unbedingt lesen?
Sie sollten auf jeden Fall wissen: Wie viel muß ich einnehmen? Wann sollte ich das Arzneimittel einnehmen? Und wie sollte ich es einnehmen? Dazu gehört auch, daß Sie wissen, ob Sie eine Tablette zwingend als Ganzes schlu­cken müssen oder ob Sie diese auch zerkleinern dürfen. Oder mit welchen Nahrungsmitteln Sie Ihr Medi­kament besser nicht einnehmen sollten, weil es sonst Wechselwirkungen geben könnte. Wenn Sie dann noch beachten, wie lange Sie an­gebrochene Medikamente noch verwenden dürfen, haben Sie schon ganz viel für Ihre wirksa­me Arznei­mitteltherapie getan!

Sie beschreiben, daß es Medikamente gibt, die einerseits gegen eine Krankheit helfen sollen, einem andererseits unter Umständen gar den Tod bringen können.
Ganz so krass habe ich das ja nicht formuliert. Trotzdem ist es richtig, daß wir in Deutschland immer noch mehr Todesfälle pro Jahr durch vermeidbare Arznei­mittelwechsel­wirkungen ha­ben als im Straßenverkehr. Nach Angaben des Bun­des­gesundheitsministeriums sind bis zu sieben Prozent aller Patienten von ei­ner ver­meidbaren unerwünschten Arzneimittelwirkung betroffen – davon sind längst nicht alle gleich lebensbedrohlich. Panikmache ist daher fehl am Platz.

Bei manchen geht die Angst vor möglichen Nebenwirkungen aber so weit, daß sie ihre vom Arzt verschriebenen Medikamente nicht einneh­men. Was raten Sie?
Vielen hilft die Statistik: Häufige Nebenwir­kungen treten nur bei ein bis maximal zehn Prozent der Patienten auf. Das bedeutet im Umkehrschluß, daß 90 bis 99 Prozent der Pati­enten von diesen un­erwünschten Nebenwirkun­gen verschont bleiben. Das hört sich schon viel weniger dramatisch an. Und auch wenn es abge­droschen klingt: Fragen Sie Ihren Arzt oder Apo­theker! Und zwar, bis Sie alles verstanden haben! Zur Not auch beide. Die aller­meisten Sorgen kön­nen so aus der Welt geschafft werden.

Was kann man denn bei Medikamenten falsch machen?
Der größte Fehler ist sicherlich, ein verordnetes Medikament überhaupt nicht ein­zunehmen. Das kann ungünstig ausgehen. Dann das Teilen von Tabletten, die dafür nicht vorgese­hen sind. Teilen Sie Tabletten nur, wenn sie eine sogenannte Bruchkerbe haben. Haben die Tabletten einen magensaft­resistenten Überzug, dürfen Sie sie nicht teilen. Andere Medikamente sind so hergestellt, daß der Wirkstoff nicht auf einmal, sondern langsam und gleichmäßig ins Blut ge­langt. Für Patienten hat das den Vorteil, dass das Medikament statt bei­spiels­weise dreimal täglich nur einmal täglich eingenommen werden muß. Dafür ist in einer einzelnen Tablette teilweise auch das Dreifache an Wirkstoff enthalten. Wenn Sie so eine Tablette durch Teilen kaputt machen, wird eventuell die gesamte Tagesdosis freigege­ben. Das kann unangenehme und sogar gefährli­che Folgen haben.

Können Sie den VdK-Mitgliedern Ihre Tips für eine perfekte Hausapotheke verraten?
Wichtig ist: Denken Sie an alle Familien­mitglieder! Nicht jedes Arzneimittel ist für jeden geeignet. Wenn Kinder im Haushalt le­ben, benötigen Sie – je nach Alter des Nachwuch­ses – nicht nur besondere Arzneiformen, wie Säf­te oder Zäpfchen. Manchmal müssen es ganz an­dere Wirkstoffe sein. Eine gute Hausapotheke braucht nicht für jeden denkbaren Notfall ausge­rüstet zu sein. Was Sie aber vorrätig haben soll­ten, sind Mittel gegen Schmerzen und Fieber so­wie typische Erkältungskrankheiten. Und natür­lich Medikamente, die hilfreich sind, wenn es in Magen und Darm zwickt. Wunden und Verbren­nungen passieren ebenfalls schnell mal. Und im Sommer ist es praktisch, wenn man weiß, was man gegen Insekten ausrichten kann.

Buchtip: Zu Risiken und Nebenwirkungen …
Apothekerin und Autorin Christine Gitter erklärt in ihrem Buch „Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihre Apothekerin“ anschaulich und mit Augenzwinkern alles, was man über Arzneimittel wissen kann. ISBN 978-3-426-27780-5; Droemer Verlag, 16,99 Euro
aus: VdK Zeitung Juni 2019