Aller Anfang ist schwer. Doch wer gut motiviert ist, kann selbst viel tun, um ernsten Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen. KfH-Fachleute geben hier (nicht nur) nierenkranken Patientinnen und Patienten hilfreiche Informationen dafür.
Es ist eine Binsenweisheit: Wer ungesund lebt, schadet seiner Gesundheit. Jeder weiß das. Dennoch sind gesundheitsschädliche Lebens- und Ernährungsgewohnheiten die Ursache, daß zwischen 20 und 30 Prozent der Men-schen in Deutschland vom metabolischen Syndrom betroffen sind.
Es umfaßt vier Krankheitsbilder, von denen jedes für sich die Blutgefäße schädigt und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Herzinsuffizienz erhöht: starkes Übergewicht, Bluthochdruck, ein erhöhter Blutzuckerspiegel sowie ein gestörter Fettstoffwechsel. Die gute Nachricht ist: Schlechte Gewohnheiten lassen sich ändern. „Wesentlich ist es, Menschen positiv zu motivieren, ihre Lebensstiländerungen auf einen längeren Zeitraum anzulegen“, sagt Dr. Randolf Seitz, Ärztlicher Leiter des KfH-Nierenzentrums Neumarkt in der Oberpfalz. „Eine vierwöchige Ernährungsumstellung oder sechs Wochen mehr Bewegung bedeuten noch keinen dauerhaften Erfolg.“
Bekannt sei, daß man sein Leben zweieinhalb, drei Jahre lang umstellen müsse. Nach dieser Zeit habe der Mensch quasi „vergessen“, wie er früher gelebt habe.
Kardiovaskulären (das Herz und das Gefäßsystem betreffenden) Krankheiten vorzubeugen ist keine Frage des Alters. Prof. Dr. Carsten Böger, Ärztlicher Leiter des KfH-Nierenzentrums Traunstein, erläutert: „Mit 70 Jahren ist man in Deutschland heutzutage jung. Manche Menschen haben dann noch 20 Jahre vor sich. Man sollte auch mit 70, 75, 80 Jahren auf ein gesundes, ausgewogenes Leben achten.“
Nicht rauchen
Für bereits nierenkranke Patientinnen und Patienten stellt Nephrologe Seitz das Nichtrauchen als präventive Maßnahme ganz vorne an: „Rauchen ist ein Gefäßgift, und die Niere ist ein Gefäßknäuel. Untersuchungen zeigen, daß alle Nierenerkrankungen doppelt so schnell schlechter werden, wenn der Patient raucht.“ Nicht selten treten Herzschwäche und Nierenschwäche gemeinsam auf. Zwischen beiden Organen existieren vielfältige Verbindungen, und fast jeder zweite Patient, der akut wegen einer Herzschwäche ins Krankenhaus aufgenommen wird, zeigt auch eine Nierenschwäche. Ein schwaches Herz führt etwa zu einer Minderdurchblutung der Nieren.
Andersherum ist bei Menschen mi t chronischer Niereninsuffizienz häufig der Blutdruck erhöht, was letztlich Durchblutungsstörungen am Herzen zur Folge haben kann. Erkranken Herz und Nieren parallel, spricht man vom kardiorenalen Syndrom. Nephrologen wie Seitz und Böger appellieren daher, daß Patientinnen und Patienten mit Herz-Kreislauf-Krankheiten frühzeitig auch einen Nierenspezialisten konsultieren.
Faktor Ernährung
Ein wichtiger Faktor ist eine gesunde Ernährung. Am besten salzarm, eher wenig Kohlenhydrate, nicht zu fetthaltig, nicht zu viel essen und Fertigkost vermeiden. Sie ist oft zu fett- und salzreich und enthält viele Zusatzstoffe. „Was vom Gefrierfach in den Ofen geht, ist meist ungesund“, sagt Böger. Eine ausgewogene Ernährung sei wichtig, am besten mit sogenannter traditioneller mediterraner Kost: viel Früchte und Gemüse, Vollkorn- und Milchprodukte, häufig Fisch, weniger rotes Fleisch. Alkohol sollte so wenig wie möglich getrunken und auch auf den Zucker in Getränken geachtet werden.
Böger rät: „Einfach mal statt der Apfelsaftschorle Wasser trinken.“ Patientinnen und Patienten, die bereits an der Dialyse sind, müssen bisweilen andere Schwerpunkte setzen. Sie sollten vor allem kalium- und phosphatarm sowie eiweißreich essen und dies immer ärztlich besprechen.
Bewegung und weniger Stress
Regelmäßige körperliche Aktivität stärkt das Herz-Kreislauf-System. Zahlreiche Studien belegen die positiven Effekte von Bewegung auf die Gesundheit. Nicht alle Menschen könnten richtig Sport treiben, aber „jeden Tag eine halbe Stunde zügig spazieren gehen reicht schon. Dabei so schnell laufen, daß sich die Arme bewegen“, empfiehlt Böger. „Oder Wandern, eine Fahrradtour, Yoga machen, all das tut gut.“ Bewegung und Sport ist auch ein gutes Ventil für Stress, einen weiteren kardiovaskulären Risikofaktor. Aber es gelte, die individuelle Lebenssituation zu betrachten: Den bisher wenig Sportlichen motivieren kleine Schritte und ein niedriger Zielwert. Wer bereits jeden Tag zehn Kilometer joggt, „bei dem ist die Seite von Bewegung und Sport ausgereizt“, sagt Seitz.
Der innere Schweinehund
Der innere Schweinehund ist die große Hürde. Böger ist daher wichtig, daß sich Patientinnen und Patienten nicht zu hohe Ziele setzen: „Man sollte nicht denken, 20 Kilo Gewichtsreduktion in einem Jahr schaffen zu müssen, sondern sich über zwei bis drei Kilo in einem Jahr freuen. In fünf Jahren sind das zehn bis fünfzehn Kilo. Wer sich kleine Ziele setzt, kann nachhaltig das Gewicht ändern.“
Viele versuchen, ihr Leben umzustellen, und kommen damit ein Stück weit – aber manchmal nicht weit genug. „Dann muß man erneut motivieren und auch medikamentös eingreifen“, sagt Seitz. Die Tabletten und eine gute Einstellung der individuellen Zielwerte verhindern Herzinfarkt, Schlaganfall und Nierenschäden. Hoffnung versprechen neue Medikamente wie die seit einigen Jahren zugelassenen SGLT2-Hemmer.
Böger erklärt es für Laien: „Sie wirken wie ein Blockbuster-Medikament gegen Zucker, fortschreitende Nierenerkrankung, gegen Herzinsuffizienz und damit auch gegen das kardiorenale Syndrom. Ein tolles Medikament, das an der Niere einen Kanal blockiert, sodaß der Zucker, der in der Niere filtriert wird, nicht vom Blutkreislauf wiederaufgenommen wird, sondern im Urin landet.“
Blutdruck einstellen
Beim Risikomanagement sind aller guten Werte drei: Blutdruck, Blutfette und Blutzucker. Der Blutdruck läßt sich selbst gut im Blick behalten. Entsprechend der neuesten Leitlinie zur Behandlung von Nierenpatienten sollte er unter 120 mmHg systolisch bei einer standardisierten Messung liegen, schildert Böger. Wird die Messung nicht korrekt durchgeführt, sind die Zielwerte beim systolischen Wert um 10 mmHg höher.
So macht man die korrekte Messung: „Auf die Toilette gehen, danach an den Tisch setzen, ausruhen, mit niemandem reden, die Beine nicht kreuzen. Dann das Messgerät anschließen und erst nach fünf, besser zehn Minuten mehrmals den Blutdruck messen, bis die Unterschiede weniger als fünf Einheiten beim oberen, dem systolischen Wert betragen.Er sollte unter 120 liegen. Bei Älteren mögen auch höhere Ziele passend sein.“
Für Böger geht es darum, den Blutdruck mit möglichst wenigen Tabletten so niedrig wie möglich zu halten, ohne daß Schwindel auftritt. „Braucht man sechs verschiedene Medikamente, um ihn auf 115 zu drücken, ist das der falsche Weg. Schafft eine 75-jährige Patientin mit drei Medikamenten 125, bin ich zufrieden.“
Niedrige Blutfette
Sind Blutfette wie Cholesterin und Triglyzeride über einen längeren Zeitraum zu hoch, liegt eine Fettstoffwechselstörung vor. Die ungesunden Blutfette kommen aus tierischen Fetten, der Körper bildet sie jedoch auch selbst. Oft bleiben zu hohe Blutfettwerte lange unbemerkt. Allerdings können sie das Risiko einer Herz-Kreislauf-Erkrankung deutlich erhöhen.
Cholesterin wird in HDL-Cholesterin und LDL-Cholesterin unterteilt. Ein dauerhaft erhöhter LDL-Wert kann zu Arteriosklerose führen – Ablagerungen in den Blutgefäßen mit der Gefahr schwerer kardiovaskulärer Krankheitsbilder. Bei chronisch nierenkranken Menschen sollte der LDL-Wert bei einer glomerulären Filtrationsrate (GFR, wird aus einer Kreatininbestimmung im Blut errechnet) von weniger als 30 ml/min unter 55 mg/dl liegen, bei einer GFR von weniger als 60 ml/min unter 70 mg/dl, sagt Böger.
„Beim LDL sollte man immer unter 55 liegen, wenn man bereits am Herz-Kreislauf-System ein Problem hat, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall hatte, einen Stent am Herzen, Bypassoperationen oder Engstellen an den Beinschlagadern hat.“ Für gesunde Menschen mit einem niedrigen Risiko liegt der LDL-Richtwert bei unter 116 mg/dl.
Blutzucker im Blick
Eine Zuckerkrankheit kann Herz und Nieren schädigen, besonders wenn Blutzucker und Blutdruck dauerhaft stark erhöht sind. Allerdings haben auch Menschen mit Typ-2-Diabetes Aussicht auf eine gute Lebensqualität. Nephrologe Seitz verweist auf eine neue Untersuchung aus Schweden: „Kontrollieren Patienten fünf Risikofaktoren, haben sie demnach eine genauso hohe Lebenserwartung wie Nichtdiabetiker: nicht rauchen, Blutdruck einstellen, Cholesterin einstellen, Blutzucker einstellen. Der fünfte Faktor ist die nephrologische Behandlung, sodaß die Nierenwerte gut bleiben.“
Bei der Messung des Blutzuckers orientieren sich Nephrologen am sogenannten Langzeitzucker. Der HbA1c-Wert sag t aus, wie viel Blutzucker sich in den vergangenen drei Monaten an die roten Blutkörperchen gebunden hat. Für nierenkranke Menschen gebe es „einen Behandlungskorridor zwischen 6,5 und 7,5 Prozent“, skizziert Böger. Komme man mit wenigen Medikamenten unter 6,5 Prozent, sei es ideal. Bei besonders gebrechlichen Menschen mit geringer Lebenserwartung könne ein Wert bis 8,5 Prozent auch akzeptabel sein.
Die existierenden Leitlinien sind gut begründete Handlungsempfehlungen für Ärztinnen und Ärzte. Es kann aber auch Gründe geben, im Einzelfall davon abzuweichen, etwa bei sehr alten Patientinnen und Patienten. Nephrologe Seitz sagt: „Es müssen immer individuelle, sinnvolle Zielvereinbarungen herausgearbeitet werden.“
Gemeinsam erfolgreich
Um kardiovaskulären Risikofaktoren Herr zu werden, sind beide Seiten gefordert. Seitz sagt: „Es geht darum, ein Problembewußtsein zu entwickeln und die Motivation aufzubringen, sich um seinen Körper zu kümmern. Dann kann man selbst viel bewirken, und wir können gut behandeln. Dabei gilt ein Stück weit auch der Spruch ‚Gefahr erkannt, Gefahr gebannt‘.“ Genauso sieht es Kollege Böger: „Am besten zu den Terminen regelmäßig die Blutdruckwerte aufschreiben und den Medikamentenplan mitnehmen.
So fällt es uns leichter, zu sehen, wo der Patient oder die Patientin steht. Mit Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen sollte man drei-, viermal im Jahr zum Arzt gehen, aus meiner Sicht zum Nephrologen. Je besser das Vertrauensverhältnis, desto mehr läßt sich bewegen.“
aus: KfH aspekte 3/21