Sie lassen unser Herz schneller schlagen, wenn wir aufgeregt sind, bestimmen unseren Tagesrhythmus, sorgen für starke Muskeln und Knochen und beeinflussen unsere Stimmung: Wie Hormone in jedem Alter unser Leben lenken.
Zwei englische Wissenschaftler stellten sich Anfang des 20. Jahrhunderts eine für die Zukunft der Medizin entscheidende Frage: Wie erfährt die Bauchspeicheldrüse, wann sie ihre Verdauungsenzyme abgeben soll? Die Nerven konnten es nicht sein, die hatten sie in ihrem Versuch durchtrennt. Dann beobachteten die Forscher, daß der Dünndarm beim Kontakt mit dem Speisebrei ein Sekret abgibt, das die Botschaft an die Bauchspeicheldrüse übermittelt.
Später fanden sie heraus, daß weitere Organe regulierende Sekrete abgeben. 1905 gab Sterling, einer der beiden Wissenschaftler, ihnen den Namen „Hormone“ nach dem griechischen Wort „hormao“, was so viel bedeutet wie antreiben oder anregen. Der Grundstein der Endokrinologie, der Lehre von den Hormonen, war gelegt.
Was Hormone bewirken
Heute kennt man etwa 50 verschiedene Hormone, die als chemische Botenstoffe in unterschiedlichen Drüsen wie Nebennieren, Schilddrüse, Hoden oder Eierstöcken gebildet werden. Sie gelangen über den Blutkreislauf zu den Zielorganen, docken dort an speziellen Bindungsstellen der Zellen an und setzen so Stoffwechselprozesse in Gang. Hormone können zum Beispiel den Befehl übermitteln, daß Muskeln aufgebaut werden, Zucker in die Zellen gelangt, Eier und Spermien heranreifen oder daß man bei Dunkelheit müde und morgens wieder fit wird.
Steuerzentrale im Gehirn
Welche Hormone ausgeschüttet werden, wird über verschiedene Regelkreise im Körper gesteuert. Ein kirschkerngroßes Organ im Gehirn, die Hypophyse (Hirnanhangdrüse), ist für viele Körperdrüsen die übergeordnete Instanz. Sie bekommt ihre Anweisungen vom Hypothalamus, einem Bereich im Zwischenhirn, der Signale aus der Umwelt und dem Körper auswertet.
Auf und Ab der Hormone
Die Menge der Hormone schwankt abhängig von der Tageszeit, im Laufe eines Monats oder je nach körperlicher Belastung. „Manche Veränderungen bemerken wir direkt, zum Beispiel wenn wir unter Einfluß des Schlafhormons Melatonin müde werden, im Zyklus der weiblichen Hormone die Periode einsetzt oder wenn wir bei Stress unruhig werden oder das Herz rast“, erklärt Professor Volker Fendrich, Chefarzt der Klinik für Endokrine Chirurgie an der Schön Klinik Hamburg. Andere Hormonwirkungen gehen eher unbemerkt vonstatten: Wenn Insulin den Zucker aus dem Blut in die Zellen schleust, Parathormon die Knochen stärkt oder durch Wachstumshormone Kinder groß werden.
Störung im System
So vielfältig die Funktionen der Hormone im Körper, so unterschiedlich können die Beschwerden sein, wenn es zu Problemen im Hormonhaushalt kommt oder die Produktion der Geschlechtshormone im Alter abnimmt.
Schilddrüsenerkrankungen
Mit ihren Hormonen Thyroxin und Trijodthyronin reguliert die Schilddrüse zahlreiche Stoffwechselprozesse und ist an der Funktion von Herz, Kreislauf, Verdauung, Körpertemperatur und an Gehirnprozessen beteiligt. Bei einer Unterfunktion, wie der Hashimoto-Thyreoiditis, einer Autoimmunerkrankung, läuft der Körper auf Sparflamme: Das Herz schlägt langsamer, man setzt leichter Fett an, ist schnell müde und friert ständig. Eine Überfunktion bewirkt das Gegenteil: Herzrasen, starke Gewichtsabnahme, extreme innere Unruhe. „Zur Behandlung einer Schilddrüsenunterfunktion werden die fehlenden Hormone über Tabletten zugeführt. Eine Überfunktion wird zunächst mit Medikamenten behandelt, die eine übermäßige Hormonproduktion hemmen. In den meisten Fällen ist anschließend eine Radiojodtherapie oder Operation erforderlich“, erklärt Professor Fendrich.
Sekundärer Bluthochdruck
Bei der Regulation des Blutdrucks sind verschiedene Hormone beteiligt. Das Stresshormon Adrenalin aus den Nebennieren führt dazu, daß sich die Gefäße verengen. Dadurch steigt der Blutdruck. Auch die Nieren haben Einfluß auf den Blutdruck, indem sie über hormonelle Wege weniger Wasser ausscheiden. Das Blutvolumen nimmt zu und der Blutdruck steigt. „Ist dieses System gestört, kann Bluthochdruck entstehen, der sich mit gängigen Medikamenten nicht kontrollieren läßt. Bei zwei bis drei Prozent aller Patienten mit einem erhöhten Blutdruck kann als Ursache ein Tumor der Nebenschilddrüse identifiziert werden. Wird den Patienten dieser meist gutartige Tumor operativ entfernt, normalisiert sich der Blutdruck in kurzer Zeit“, weiß der Hormonexperte Fendrich.
Osteoporose
Auch am Auf- und Abbau der Knochen sind Hormone beteiligt: Parathormon, Vitamin D und die Sexualhormone Östrogen und Testosteron. Ein Mangel an Östrogen nach den Wechseljahren ist bei Frauen der häufigste Grund für Knochenschwund, die Osteoporose. Ältere Männer können ebenfalls davon betroffen sein. Parathormon aus den Nebenschilddrüsen reguliert die Menge an Kalzium im Körper, dem Baustoff der Knochen. Eine Überfunktion, in 99 Prozent der Fälle durch einen winzigen, meist gutartigen Tumor ausgelöst, führt zu einem Überangebot an Kalzium und macht sich in Knochenschmerzen und Nierensteinen bemerkbar. Vor allem bei älteren Patienten können auch Depressionen auftreten. „In den letzten Jahren ist die Zahl dieser Patienten deutlich gestiegen, vermutlich weil Hausärzte heute mehr auf diese Problematik achten“, sagt Professor Fendrich. „Entfernen wir den Tumor mit einem kleinen Eingriff, werden die Beschwerden rasch behoben. Neben einer guten Versorgung mit Vitamin D tragen ausreichend viel Bewegung und eine kalziumreiche Ernährung zu gesunden Knochen bei. Als typische Symptome hormoneller Störungen nennt Fendrich ständige Müdigkeit, Herzrasen, übermäßigen Durst, innere Unruhe, Schweißausbrüche oder erhebliche Gewichtszunahme oder -abnahme. Dann sollte zunächst der Hausarzt angesprochen werden. Er kann durch Bluttests erste Hinweise bekommen und bei Verdacht auf eine hormonelle Störung zu einem Endokrinologen überweisen. Die Hormonspezialisten können aufwendigere Tests durchführen und hormonelle Erkrankungen gezielt behandeln.
Heilen mit Hormonen
Während ein Mangel an einem Hormon wie Insulin früher noch ein Todesurteil war, so ist es heute oft möglich, fehlende Hormone zuzuführen. Für die Produktion als Arzneimittel wird Bakterien die Erbinformation für den Aufbau des Hormons eingeschleust. Die gentechnisch veränderten Bakterien können so das Hormon, das mit dem des Menschen identisch ist, in großer Menge produzieren. Hormone sind hochwirksame Substanzen, die in komplexe Regelkreise eingreifen. Die Entscheidung für eine Hormongabe gehört deshalb immer in die ärztliche Hand.
Hormone in den Wechseljahren
Ein Hormonersatz in den Wechseljahren stand lange in der Kritik, da Studien ein stark erhöhtes Krebsrisiko nahelegten. Inzwischen werden die Ergebnisse neu bewertet und die Gefahren wie Brustkrebs geringer eingeschätzt. „Bei starken Beschwerden kann ein Hormonersatz beispielsweise Hitzewallungen, Scheidentrockenheit, Schlafstörungen und depressive Verstimmungen wirksam lindern“, sagt Professor Fendrich. Der Frauenarzt oder Endokrinologe wird nach einer ausführlichen körperlichen Untersuchung mit der Frau gemeinsam entscheiden, ob eine Therapie infrage kommt. Die Anwendung erfolgt zum Beispiel in Form von Tabletten oder Cremes. Ab einem Alter von 60 Jahren ist die Therapie wegen eines erhöhten Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs häufig nicht mehr sinnvoll.
Wechseljahre beim Mann?
Ab dem 40. bis 50. Lebensjahr nimmt auch bei Männern die Produktion der Geschlechtshormone wie Testosteron ab. Der Prozeß verläuft langsam über viele Jahre hinweg und die Hormonproduktion kommt nicht ganz zum Erliegen. Mediziner sprechen bei Männern deshalb normalerweise nicht von Wechseljahren. Ein zu niedriger Testosteron-Spiegel kann jedoch die Sexualfunktion beeinträchtigen und auch Stimmung und Leistungsfähigkeit können leiden. Testosteron-Präparate kommen nur bei starken Beschwerden infrage. Die Anwendung muß wegen möglicher Risiken sorgfältig abgewogen werden. „Sie können dann zum Einsatz kommen, wenn der Testosteron-Mangel durch eine ärztliche Untersuchung und Labortests bestätigt wurde“, sagt Professor Fendrich.
Gesundes Gleichgewicht?
Welchen Einfluß haben wir selbst auf die Hormone? Die einzelnen Hormone können wir nicht steuern, doch ein gesunder Lebensstil trägt zu einem ausgewogenen hormonellen Gleichgewicht bei.
Gewicht regulieren: Fettgewebe, vor allem das im Bauchbereich, produziert Hormone, die das Wachstum von Krebszellen und Entzündungen fördern. Ein gesunder Lebensstil mit ausgewogener, pflanzenbasierter Ernährung und viel Bewegung beugt vor.
Ausreichend Jod: Die Produktion von Schilddrüsenhormonen funktioniert nur, wenn dem Körper genügend Jod zur Verfügung steht. Zweimal pro Woche Fisch essen und mit Jod angereichertes Speisesalz verwenden sichert die Jodversorgung.
Sonne genießen: Vitamin D ist eigentlich ein Hormon und wird unter Einfluß von UV-Strahlen in der Haut gebildet. Für eine gute Versorgung sollten Gesicht, Hände und Teile der Arme je nach Hauttyp täglich 5 bis 25 Minuten der Sonne ausgesetzt werden. Über diese Zeit hinaus ist Sonnenschutz wichtig.
Ausgewogen ernähren: Bestimmte Vitamine spielen im Hormonhaushalt eine Rolle. Vitamin B6 beeinflußt beispielsweise die Wirkung von Östrogen und Testosteron. Über eine ausgewogene Ernährung ist die Versorgung mit Vitamin B sichergestellt, da es in zahlreichen Lebensmitteln wie Fischen, Nüssen, Vollkorngetreide, Kartoffeln und Tomaten enthalten ist. (Achtung: Dialysepatienten haben hier rigide Beschränkungen!)
Ausgleich: Ständiger Stress kann das Hormongleichgewicht beeinträchtigen und Bluthochdruck, Depressionen und Infekte fördern. Deshalb ist es wichtig, negativen Stress zu reduzieren und zu lernen, besser damit umzugehen. Regelmäßige Entspannungsübungen wie progressive Muskelrelaxation oder Yoga und Ausgleich durch Hobbys helfen dabei. Bei Schlafstörungen sollten aufregende Filme abends gemieden werden, um die Adrenalinausschüttung nicht anzuregen.
Licht regulieren: Licht unterdrückt die Ausschüttung von Melatonin, dem Hormon, das uns müde macht. Normalerweise ist dafür Tageslicht e rforderlich, doch auch das Blaulicht aus Computern und Smartphones kann uns wachhalten. Deshalb wird empfohlen, kurz vor dem Schlafengehen Handy oder Computer nicht zu nutzen oder abends den Blaulichtfilter der Geräte einzuschalten. Und wer gleich frühmorgens ans Tageslicht geht, kommt besser in die Gänge.
Schon gewußt?
Adrenalin Das sogenannte Stresshormon spornt zu Höchstleistungen an. In den Nebennieren produziert, mobilisiert es unsere Energiereserven und erhöht kurzfristig unsere Leistungsfähigkeit, wenn wir schnell reagieren müssen oder uns ärgern.
Insulin Die Bauchspeicheldrüse schüttet beim Essen Insulin aus, das Zucker aus dem Blut in die Körperzellen schleust. Bei einem ständigen Überangebot von Nahrung wird mehr Insulin gebraucht und der Vorrat erschöpft sich. So kann Typ-2-Diabetes entstehen. Beim Typ-1-Diabetes werden die insulinproduzierenden Zellen durch Autoimmunprozesse zerstört.
Testosteron Das männliche Sexualhormon wird in den Hoden gebildet und läßt die Spermien reifen. Es steuert die Entwicklung der Geschlechtsorgane, läßt den Bart sprießen und die Muskeln wachsen. Es beeinflußt die sexuelle Lust und Erektionsfähigkeit.
Vitamin D3 Das Sonnenvitamin ist eigentlich ein Hormon. Der Körper kann es mithilfe von UV-Strahlung selbst in der Haut bilden. Es fördert die Aufnahme von Kalzium aus dem Darm und versorgt damit Knochen, Zähne und Muskeln.
Östrogen Das weibliche Geschlechtshormon leitet im Zusammenspiel mit anderen Hormonen die Pubertät ein und steuert den Monatszyklus und die Fruchtbarkeit der Frau. Läßt die Produktion nach, werden die Wechseljahre eingeleitet.
Dopamin Der Urlaub ist nicht mehr weit und ein Glücksgefühl macht sich breit? Da ist Dopamin im Spiel. Das Belohnungshormon ist bei vielen psychischen Vorgängen wie Motivation, Emotion, Lernen und Gedächtnis beteiligt.
Thyroxin und Trijodthyronin Schilddrüsenhormone wie Thyroxin sind unter anderem an Knochenwachstum, Muskelfunktion, Herzschlag und Blutdruck beteiligt. Damit Thyroxin hergestellt werden kann, ist das Spurenelement Jod wichtig. Die Versorgung ist in der Regel sichergestellt, wenn auf eine Ernährung mit jodreichen Lebensmitteln wie Fisch und jodiertem Speisesalz geachtet wird.
Serotonin Das sogenannte Glückshormon wird im Darm und im Gehirn gebildet und beeinflußt Appetit, Emotionen, Antrieb und das Schmerzempfinden. Es steckt auch in Lebensmitteln wie Bananen oder Schokolade, wird aber durch die Magensäure sofort zersetzt. Für Glücksgefühle, die manche Speisen auslösen, kann es also nicht verantwortlich sein.