Diabetiker weisen lange Zeit keine Symptome auf. Gleichwohl wirkt der entgleiste Stoffwechsel in die­ser Zeit schon zerstörerisch – vor allem auf die Nie­ren. In der Behandlung gibt es allerdings Fortschrit­te.

Diabetes mellitus, umgangssprachlich auch Zu­ckerkrankheit genannt, ist eine chronische Stoff­wechselerkrankung. Die beiden häufigsten For­men sind der Typ-I- und der Typ-II-Diabetes. Typ-II-Diabetes ist weitaus häufiger und betrifft fast 90 Prozent aller Diabetesfälle weltweit. Er tritt vor allem im späteren Erwachsenenalter auf und beginnt häufig schleichend. Übergewicht, unge­sunde Ernährung und mangelnde Bewegung er­höhen das Risiko für diese Krankheit.

Typ-I-Diabetes dagegen ist eine sogenannte Auto­immunerkrankung, bei der die insulinproduzie­renden Beta-Zellen in der Bauchspeicheldrüse durch einen Angriff des körpereigenen Immun­systems zerstört werden. Insulin ist das einzige Hormon, das Zucker aus der Blutbahn in die Zelle transportiert. Fehlt es, entgleist der Stoffwechsel. Typ-I-Diabetes tritt meist schon im Kindes- oder Jugendalter auf. Die Krankheit beginnt plötzlich und mit den typischen Symptomen für sehr ho­hen Blutzucker: ständiger Durst, starker Harn­drang, aber auch Muskelschwäche, Müdigkeit, trockene Haut und häufige Infekte.

Während Typ-I-Diabetes immer mit Insulin be­handelt werden muß, können Patienten mit Typ- II-Diabetes am Anfang oft mit einer Umstellung der Lebensgewohnheiten, mit regelmäßiger kör­perlicher Aktivität und einer gesunden Ernäh­rung den Blutzucker in den Griff bekommen. Pati­enten sollten auch unbedingt aufhören zu rau­chen, rät Prof. Dr. Baptist Gallwitz, Sprecher der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und stell­vertretender Ärztlicher Direktor der Klinik für Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie am Universitätsklinikum Tübingen: „Die ungüns­tigen Faktoren auf die Gefäße verbinden sich sonst zu einer ‚unheiligen Allianz‘, und das Risiko erhöht sich drastisch.“ Daneben helfen spezielle Medikamente. Bei manchen Patienten wird aber auch das Spritzen von Insulin notwendig.

8 Jahre etwa leben Betroffene im Durchschnitt mit einem unentdeckten Diabetes bis zur ersten Diagnose.

Gesundheits-Check-up

Wann sollte man einen Test machen? „Bei Typ I ist es relativ klar. Wenn die typischen Symptome auftreten, dann muß der Blutzucker gemessen werden, und die Diagnose ist nicht schwer zu stellen. Um Typ II zu diagnostizieren, ist es wich­tig, daß man zu Früherkennungs- und Vorsorge­untersuchungen geht, weil die Symptome am An­fang oft nur ganz diskret da sind, wenn über­haupt“, erklärt Gallwitz. Aus diesem Grund sollte man die Vorsorgeprogramme, wie zum Beispiel den „Check-up 35“, unbedingt nutzen. Hier wird auch gezielt nach erhöhten Blutzuckerwerten ge­schaut. Gesetzlich Versicherte haben bereits zwi­schen 18 und 34 Jahren einen einmaligen An­spruch auf eine ärztliche Gesundheitsuntersu­chung. Versicherte ab 35 Jahre dürfen alle drei Jahre eine solche umfassende Untersuchung auf Kosten der Kassen durchführen. Falls sie eine akute Erkrankung haben, übernimmt die Kasse weiterhin alle notwendigen Untersuchungen – egal in welchem Alter. Das gilt auch dann, wenn ein Arzt Risikofaktoren feststellt. Liegt schon eine Nierenerkrankung vor, sind engmaschige Tests notwendig.

7 Mio. Menschen sind in Deutschland an Diabetes mellitus erkrankt. Hinzu kommt eine Dunkelziffer von geschätzt 1,3 Millionen

Das Blutzuckergedächtnis

„Wurde Diabetes diagnostiziert, sollten die Pati­enten auch zu Hause auf ihre Blutzuckerwerte achten“, rät Gallwitz. Die Krankenkassen überneh­men bei einer Insulintherapie die Kosten für die selbst durchgeführte Blutzuckermessung kom­plett. Nimmt der Patient Tabletten, dann erstatten die meisten Krankenkassen im Quartal 50 Mes­sungen. So hat der Patient – unter Alltagsbedin­gungen – die Möglichkeit der Selbstkontrolle. Da­mit Patienten ihre Werte leichter im Blick behal­ten können, hat das KfH zwei neue Blutzucker­pässe entwickelt. Diese erhalten Patienten in ihren jeweiligen Zentren.

In jedem Fall sollte einmal im Quartal mit einem Bluttest der sogenannte Blutzuckerlangzeitwert, HbA1c, beim Arzt gemessen werden. Er zeigt die durchschnittliche Zuckerstoffwechsellage in den vergangenen drei Monaten an. Der Wert ist sehr stabil und quasi das „Blutzuckergedächtnis der letzten drei Monate“, erklärt Gallwitz.

Patientenschulung

Hilfestellung für chronisch Kranke bieten sogenannte Disease-Management-Programme (DMP) der Krankenkassen. Darüber können Patienten an einer Diabetesschulung teil­nehmen. Für komplexe Fälle besteht auch die Möglichkeit, sich in einer stationären Einrichtung schulen und neu einstellen zu lassen. Die Über­weisung erfolgt hier durch den Arzt.

12 Mio. Menschen, so die Schätzungen, werden hierzulande bis zum Jahr 2040 an Diabetes erkrankt sein.

Folgeerkrankungen

„Patienten mit Diabetes müssen gut behandelt und nah an den Normwerten eingestellt werden“, erläutert Gallwitz. Das bedeutet, die Betroffenen sollten nahezu die gleichen Werte wie Menschen ohne Diabetes erreichen. Denn, sofern über län­gere Zeit hohe Blutzuckerwerte bestehen, verur­sacht dies Schäden an den großen und kleinen Blutgefäßen sowie an den Nerven. Die Folgeer­krankungen sind unabhängig vom Diabetestyp, sondern nur abhängig davon, wie ausgeprägt die Abweichung von der normnahen Einstellung ist.

So können Nierenerkrankungen Folgen eines Dia­betes werden. Eine gute Blutzuckereinstellung trägt unter anderem dazu bei, Nierenschäden zu verhindern oder deren Verschlechterung vorzu­beugen. Anhaltend hohe Blutzuckerwerte, Blut­hochdruck und genetische Veranlagung können Veränderungen der kleinen Gefäße zur Folge ha­ben, so daß die Filterleistung der Nieren sukzessi­ve abnimmt und damit deren Entgiftungskapazi­tät. Es kann zu einer sogenannten diabetischen Nephropathie kommen.

Unbehandelt führt diese bei etwa einem Drittel der Betroffenen zum chronischen Nierenversa­gen: Damit ist Diabetes die häufigste Ursache für ein chronisches Nierenversagen mit der Folge, daß eine Nierenersatztherapie, also die Dialyse oder aber die Nierentransplantation, für den Pati­enten lebensnotwendig wird. „Wir wissen, daß in Deutschland die größte Klientel an Dialysepatien­ten Patienten mit Typ-II-Diabetes sind“, berichtet Gallwitz.

Weitere Folgeerkrankungen: Blutungen an der Netzhaut im Auge, die schlimmstenfalls zur Er­blindung führen können, sowie Herzinfarkt und Schlaganfall. Bei Männern kann es zu Potenzstö­rungen kommen. Es wird auch diskutiert, ob De­pression und Demenzentwicklung mit einer schlechten Diabeteseinstellung in Zusammen­hang stehen. Zudem sind Durchblutungsstörun­gen an den Beinen und besonders an den Füßen möglich. Hier sind häufig auch die Nerven betrof­fen: „Wenn man sich am Fuß verletzt, fehlen die alarmierenden Schmerzsymptome, und das kann zu einem sogenannten diabetischen Fußsyndrom führen. Und leider werden aufgrund dessen in Deutschland jährlich immer noch etwa 40.000 Amputationen durchgeführt“, schildert Gallwitz die Folgen. Statistisch gesehen kann bei einer nicht normnahen Diabeteseinstellung die Lebens­erwartung um sechs Jahre oder mehr verkürzt sein.

Niere häufig betroffen

„Zwar kann der Schaden des Diabetes überall im Körper eintreten, aber die Niere ist besonders häufig betroffen. Ungefähr vier von zehn Patien­ten werden eine Nierenschädigung erleiden, wenn sie Diabetes haben, und es ist nicht vorher­sehbar, wer zu den vier Patienten gehört“, erläu­tert Prof. Dr. Peter Mertens, Direktor der Univer­sitätsklinik für Nieren- und Hochdruckkrankhei­ten, Diabetologie und Endo­krinologie in Magde­burg, wo er auch Ärztlicher Leiter des KfH-Nie­renzentrums ist. Das Heim­tückische daran: „Die Nieren wird man nicht spüren, bevor die schwere Vergiftung eingetreten ist. Die Nieren sind sozu­sagen ganz still, dämmern vor sich hin und wer­den immer schlechter. Deshalb hat man meistens auch nicht das Augenmerk darauf, obwohl sie ex­trem wichtige Organe sind. Denn wenn die Nieren schlechter werden, dann verschlechtert sich da­mit die ganze Lebensqualität. Die Patienten ha­ben ein höheres Risiko, Gefäßschäden, Herzin­farkte, Schlaganfälle und Schädigungen der Ner­ven zu erleiden.“

Erkennungsmerkmale einer Schädigung

Wie kann man frühzeitig Vorstadien einer mögli­chen schweren Schädigung erkennen? Die wich­tigste Erkenntnis der vergangenen zehn Jahre: Nicht bei allen Patienten steigt als Warnsignal für eine Nierenschädigung die Eiweißausscheidung an. „Es reicht also nicht aus, Eiweiß im Urin zu messen. 30 bis 50 Prozent der Patienten haben nie Eiweißausscheidungen im Urin, ihre Nieren­schädigung schreitet trotzdem voran und sie wer­den irgendwann an die Dialyse kommen“, be­schreibt Mertens das Dilemma.

Aufgrund dieser Erkenntnis werden derzeit neue nationale Versorgungsleitlinien für Diabetes ent­wickelt. „Künftig reicht eine Nierenfunktionsein­schränkung aus, um an eine diabetische Nephro­pathie zu denken. Neben der Eiweißausscheidung im Urin wird dann auch die sogenannte glomeru­läre Filtrationsrate (GFR) bestimmt. Fällt diese Rate ab, ist das Risiko hoch. Damit ist man zumin­dest nicht mehr blind für diejenigen, die keine Ei­weißausscheidung haben und deren Zustand im­mer schlechter wird. Man muß im Grunde ge­nommen die Eiweißausscheidung als ein Kriteri­um akzeptieren, das bei einigen da ist, aber nicht bei allen“, erklärt Mertens.

Darüber hinaus plädiert er dafür, schon in einem sehr frühen Stadium eine Gewebeprobe aus der Niere zu entnehmen: „Damit kann man nicht nur eine Entzündung nachweisen, sondern auch er­kennen, wie stark die Entzündung ist. Denn ist die Entzündung stark, weist das darauf hin, daß die Nierenkrankheit sehr schnell fortschreiten wird. Umso mehr sollte man sich dann anstren­gen, beispielsweise Blutdruck, Säure-Basen-Haus­halt und Vitamin-D-Haushalt rasch in den Griff zu bekommen.“ Zudem liefere die feingewebliche Untersuchung wichtige Informationen, um auch eine gezielte Therapie zu veranlassen. Das Risiko der Nierenbiopsie sei gering: Bei weniger als 0,1 Prozent dieser Untersuchungen gäbe es Kompli­kationen, die relevant seien. „Dafür ist das Risiko absolut tragbar. Das Problem einer Fehldiagnose und die Konsequenzen daraus sind deutlich hö­her einzuschätzen“, so der Nephrologe und rät:

„Sobald Diabetes diagnostiziert wird – und man­che Menschen haben schon fünf oder zehn Jahre diese Krankheit, ohne es zu wissen – sollte man sich direkt in die Behandlung eines Nephrologen begeben. In Sachsen-Anhalt beispielsweise ist diese integrierte Versorgung Standard. Hier fallen die Dialysezahlen – und zwar um 15 Prozent seit 2009.“ Auch im weiteren Verlauf sollte der Nie­renspezialist regelmäßig nach den Diabetes-Pati­enten schauen.

„Zudem sollte man sich von dem Gedanken tren­nen, daß es nur eine Art von Typ-II-Diabetes gibt.“ Manche Patienten haben ein viel höheres Risiko für Nierenschäden, andere neigen eher zu Schä­den an der Netzhaut im Auge. Es gibt mehrere Untersuchungen aus Deutschland, aber auch aus den skandinavischen Ländern, bei denen man festgestellt hat, daß eine Unterscheidung in fünf Klassen sinnvoll ist: „Diese Klassifizierung geht im Grunde genommen über ganz wenige Parame­ter: über Bodymass-Index, über den Langzeitblutzu­cker zum Zeitpunkt der Diagnose und über die Frage, wie viel Insulin produziert der Mensch noch. Diese unterschiedlichen Diabetes-Typen“, sagt Mertens, „müssen auch unterschiedlich the­rapiert werden.“

Fortschritte in der Behandlung

Inzwischen gibt es große Fortschritte bei der Be­handlung mit Medikamenten, unter anderem mit sogenannten Gliflozinen, die zur Blutzuckersen­kung führen, indem sie ein bestimmtes Enzym in den Nieren blockieren. Ohne das Enzym wird we­niger Zucker aus den Nieren zurück ins Blut gelei­tet und mehr Zucker im Urin ausgeschieden. So­mit sinkt der Blutzuckerspiegel. Aktuelle Studien haben gezeigt, daß einige dieser Medikamente den Verlauf von Nierenerkrankungen positiv be­einflussen können und das Herz-Kreislauf-Risiko bei Patienten mit Typ-II-Diabetes und Vorerkran­kungen des Herz-Kreislauf-Systems deutlich sen­ken. „Das ist ein Durchbruch, gerade was die Nie­renschäden betrifft“, erklärt Mertens. „In der Dia­betestherapie gibt es damit verschiedene Ansät­ze, die wirklich erfolgreich die Schädigung der Niere verlangsamen und aufheben können. Für alle, die jetzt Diabetes und Nierenkrankheiten ha­ben, kann der Arzt nun auch etwas einsetzen, das die Nieren konkret schützt.“ Dafür aber ist der Gang zum Nephrologen Voraussetzung.

aus: KfH aspekte 3-20

Auf einen Blick

Risikofaktoren Übergewicht, ungesunde Ernährung und Bewe­gungsmangel erhöhen das Risiko für Typ-II-Dia­betes.

GefahrTyp-II-Diabetes schädigt unbehandelt den Körper, ohne Symptome zu verursachen.

Früherkennung Frühzeitige Diagnose ist wichtig: Gesundheits-Check-up alle drei Jahre nutzen.

Versorgungsleit­linien Der Urintest allein reicht nicht für eine Diagnose.

Nierenspezialist Wird Diabetes diagnostiziert, sollte direkt ein Ne­phrologe hinzugezogen werden.

Bluttest Bei bestehendem Diabetes alle drei Monate den Blutzuckerlangzeitwert checken lassen und …

Kontrolle Blutzucker auch zu Hause messen.

Fortschritt Neue Medikamente können die Nie­ren­schädigung verlangsamen oder sogar aufhe­ben.