Ein längerer Weg, der sich lohnt 

Kinder mit chronischer Niereninsuffizienz sind im Gegensatz zu den erwachsenen Patienten in Deutschland wahrlich eine Ausnahme. Sie machen nur einen geringen Prozentsatz an der Gesamtzahl der Patienten aus.

Während die Zahl der Fälle von terminaler Niereninsuffizienz bei Erwachsenen – deren Ursache oft auf Diabetes mellitus und Bluthochdruck zurückzuführen ist – ständig wächst, ist die Häufigkeit der Erkrankung bei Kindern in den vergangenen Jahren relativ konstant geblie­ben. 250 Kinder befinden sich in Deutschland in Dialysetherapie, wobei das Hämodialyse­verfahren und das Peritonealdialyseverfahren ungefähr zu gleichen Teilen angewandt werden Jährlich erhalten rund 110 Kinder in Deutsch­land eine Spenderniere.

Bei Kleinkindern wird meistens die Peritonealdialyse angewendet, während Ju­gendliche zwischen 14 und 18 Jahren die Hämodialyse favorisieren. Dagegen ist der Anteil an transplantierten Kindern mit zirka 750 Patienten dreimal so groß.

Die zugrunde liegenden Erkrankungen sind häufig angeboren, sehr vielfältig und erfordern eine zum Teil hochspezialisierte Therapie. Sie können dem internistischen Nephrologen schon aufgrund der Seltenheit nicht immer vertraut sein und verlangen vor allem beim Übergang von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin nach intensivierten Kooperations- und Weiterbildungs­programmen.

Im Gegensatz zum niereninsuffizienten Er­wachsenen entwickelt sich das Kind noch kör­perlich. Daher haben nierenkranke Kinder aufgrund von Längenwachstum, Knochenstoffwechsel, Pubertät etc. eine Sonderstellung. Dane­ben muss auch der altersbedingten psychischen Entwicklung Rechnung getragen werden. Je nach Alter können Angst, gestörte Sozialkontakte, Probleme in der Schule, Identifikationsbestre­bung und Berufsausbildung eine Rolle spielen.

Aus diesem Grund ist eine Betreuung durch ein kompetentes ärztliches, pflegerisches und psychosoziales Team erforderlich. Hierzu zählen Kindernephrologen, speziell ausgebildete Kin­der-Kranken- bzw. -Dialyseschwestern, Diätassis­tenten, Sozialarbeiter, Psychologen und Erzieher.

Neben diesem Kernteam muss eine multidis­ziplinäre Diagnostik und Therapie in einem ausgewiesenen Kindernephrologiezentrum möglich sein, das Kinderradiologie, -kardiologie, -urologie, -neurologie und vieles andere mehr einbezieht. Aber auch die technische und apparative Ausrüstung muss den Bedürfnissen der Kinderheilkunde (Pädiatrie) Genüge tun.

In Deutschland hält das KfH 15 Nierenzentren für Kinder und Jugendliche vor. Die Nierenzentren sind speziell auf den besonderen Behandlungs- und Betreuungsbedarf von Kindern und Jugendlichen mit terminaler Niereninsuffizienz abgestimmt. Die nephrologisch erfahrenen Ärzte behandeln die Kinder und Jugendlichen in der Prädialysephase, um das endgültige Nierenversagen so weit als möglich hinauszuzögern, im besten Fall sogar den Eintritt der Dialysepflichtigkeit zu verhin­dern. Wird dennoch eine Nierenersatztherapie notwendig, erläutern die Ärzte alle Formen der Nierenersatzbehandlung und empfehlen eine auf die individuellen Bedürfnisse der dialyse­pflichtigen Kinder und Jugendlichen abge­stimmte Behandlungsform.

Weder in einer personell bzw. apparativ ungenügend ausgestat­teten Kinderklinik noch in einem Dialysezen­trum für Erwachsene können diese jungen Pati­enten eine adäquate Betreuung erfahren – im Gegensatz zu einer spezialisierten Einrichtung. Um dies zu erlangen, sind unter Umständen auch mal längere Wegstrecken zurückzulegen, die sich für den Patienten unter dem Strich aber mehr als lohnen.

Prof. Dr. Dirk-Erhard Müller-Wiefel, Hamburg

aus KfH aspekte 1/10