Die Verdauung ist für nierenkranke Patientinnen und Patienten ein großes Thema. Fachleute geben Tips für die Darmgesundheit, gegen Verstopfung und bringen einen relativ neuen Begriff ins Spiel: das Mikrobiom.

Er ist ein gewundener Muskelschlauch, der vom Magen bis zum After reicht, und ein hochkomplexes Organ. Unser Darm dient nicht nur zur Verdauung der Nahrung, sondern hat we­sentlichen Anteil an der Funk­tion anderer Körpersysteme. Herz-Kreis­lauf-Pro­bleme, Stö­rungen im Was­ser­haushalt, auch De­pres­sionen oder Allergien können mit einem gestörten Gleichgewicht der Darmflora zusammenhängen. Der Darm (griechisch ente­ron) ist ein Wunderwerk der Natur. Bei chronisch nieren­kranken Patientinnen und Patienten wird er be­sonders bean­sprucht – durch eine hohe Medikamentenlast so­wie den starken Wasser­entzug und die Elektrolyt­verschiebungen während ei­ner Dialyse. Kaum ein Dia­lysepatient hat keine Beschwerden mit der Verdauung. „Hier kommen verschiedene Dinge zusammen: die Grund­krankheit, intensive Medikationen, oft ein langjähriger Diabetes melli­tus, verbunden mit einer Neuropathie, die das Nervensystem rund um den Darm beeinträchtigt“, erläutert PD Dr. med. Birgit Terjung aus dem Beirat der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwech­selkrankheiten (DGVS) und Gastroenterologie-Chefärztin der GFO-Kliniken Bonn. „Ver­dau­ungs­beschwerden sind oft eines der quälendsten Symptome der Krankheit“, sagt sie.

Bewegung und Ernährung

Verdauungsprobleme sind vielfach ein Tabu­thema. „Die meisten Pati­entinnen und Patienten reden nicht gerne darüber“, berichtet Dr. Ber­til Oser. Er ist Nephrologe und Diabetologe im KfH-Nierenzentrum in Bernkastel-Kues an der Mosel, das auf Ernährungsthemen speziali­siert ist. Verstopfung und Probleme bei der Darment­leerung, Durchfall oder häufige Blähungen gehören auch für viele seiner Patienten zum Alltag. Immerhin können sie selbst an Stell­schrauben drehen, um Linde­rung zu erfahren.

Einmal hilft Bewegung, sie regt die Darm­funktion an. Die Liegezeit an der Dialyse im Zentrum, die An- und Abreise sowie die Er­schöpfung durch die Behand­lung – „da ist klar, daß diese Pa­tienten zu Hause nicht mehr drei Stunden wandern“, sagt Oser. Gleichwohl sei Bewegung „eigentlich das A und O“ für eine funktio­nierende Verdauu­ng. An dialysefreien Tagen bie­ten sich der Verdau­ungsspa­zier­gang, leichte gym­nastische Übungen wie Yoga oder auch Radfahren an. Eine Alter­native können Liegeergo­meter für die Zeit der Dialyse sein. Ne­ben der Bewegung ist eine verdauungs­för­dernde Er­nährung die zweite große Stellschraube bei Verdauungs­be­schwerden.

„Mit dem grundsätzlichen Auf­passen auf die Kali­um­zufuhr bei der Er­nährung fangen für Hämodia­lyse­patienten die Ver­dau­ungs­probleme an“, erläu­tert Ruth Kauer, ernäh­rungsmedizinische Berate­rin in der Schwer­punktpraxis für Diabetologie und Nephrologie in Bernkastel-Kues.

Zu viel Kali­um in der Ernährung kann gefährlich sein. Aber Kali­um ist vor allem in Lebensmitteln enthalten, die ballaststoffreich und damit verdauungsförderlich sind: Gemüse und Vollkorn­produkte. Desweg­en empfiehlt Kauer für Dia­lysepatienten auch – in Maßen – Voll­korn­pro­dukte: „Was in eine Hand paßt, das kann man essen – eine Handvoll Hafer­flocken zum Früh­stück zum Beispiel, eine Hand­voll Obst, ein Stück Fleisch so groß wie meine Hand.“ Es gelte, trotz der Ka­liumvorsicht faser­reich zu essen.

Ernährungsmedizinerin Terjung be­stätigt das: „Wir wissen mittlerweile, daß aus diesen Nahrungsmitteln weniger Kalium und Phosphat im Körper freigesetzt werden als man immer angenommen hat. Mit ihnen, vorher einge­weicht, sodaß diese Elektrolyte zum Teil austre­ten können, kann ein Patient sehr viel Gutes für seine Darmflora tun.“

Die Darmflora, das sogenannte Mikrobiom, hat in den vergangenen Jahren besondere Aufmerksam­keit in der Ärzteschaft und unter Wissenschaftler­innen und Wissenschaftlern erfahren, denn sie hilft ent­scheidend bei der Verdauung.

„Darmgesundheit und ballaststoffreichere Kost rücken in den Fachdis­kussionen auf Kongressen immer mehr in den Vordergrund“, sagt Ernähr­ungsmedizinerin Terjung. Auch ein dialysepflich­tiger Patient oder ein nierenkranker Patient vor Dialyse müßte sich gesund ernähren. Daher wäre es wünschenswert, wenn das Thema der Ernäh­rung bei dieser Patientengruppe noch mehr an Bedeutung gewinnen würde, so Terjung. Patien­tinnen und Patienten, die mit der Peritonealdialy­se be­handelt werden, haben seltener ein Kalium-Problem. „Pflanzenreiche Ernährung ist für sie daher einfacher“, erklärt Oser. Häufiger treten bei der Dialyse über das Bauchfell indes Appetitstö­rungen auf. Das Dialy­sat kann im Bauchraum für ein Völlegefühl sorgen.

Gute und weniger gute Ratschläge

Einige der allgemeinen Ratschläge für eine besse­re Verdauung und vor allem gegen Verstopfung sind für nierenkranke Menschen nicht geeignet. Der häu­fig älteren Menschen gegebene Hinweis „Du mußt mehr trinken!“ (damit der Stuhl weni­ger eindickt), ist für Dialysepatientin­nen und -pa­tienten mit Flüssigkeitseins­chränkung kein guter Tip.

Überhaupt gilt Vorsicht bei „Hausmitteln“! Der Sauerkrautsaft ist we­gen der großen Menge an Salz und Kalium nicht für nie­renkranke Per­sonen geeignet, ebenso ge­trocknete Pflaumen und ande­re Trocken­früchte, sie enthalten extrem viel Kali­um. Hingegen könnte man zum Beispiel Floh­samen ausprobieren, sagen Oser und Kau­er. Die kleinen Körner stammen von ei­nem Wegerichge­wächs, das hauptsächlich in Indien und Pakistan angebaut wird, und enthalten wasser­bindende Schleimstoffe. Sie quellen im Darm auf, vergrö­ßern das Volumen des Stuhls, was die Darm­entleerung anregt. Auch gegen Durchfall können Flohsamen beziehungsweise Flohsamenschalen helfen, sie machen flüssigen Stuhl fester und ihre Schleimstoffe legen eine schützende Schicht über die Darmschleimhaut. Chronisch nierenkranke Pati­entinnen und Patienten sollten eine Einnah­me und die Menge mit ihrer Ärz­tin oder ihrem Arzt bespre­chen. Knackpunkt kann die zusätzli­che Flüs­sigkeitsaufnahme sein. Flohsamen kön­nen auch in Quark einge­rührt werden.

Die Rolle der Nerven

Auch Medikamente können einen Einfluß auf die Darmtätigkeit ha­ben. Starke Schmerzmittel, im wesentlichen Opiate, machen den Darm träge. „Sie beeinträchtigen nicht nur die Darmbeweg­lichkeit, mögli­cherweise wird auch die Durchläs­sigkeit für den Darm größer, das heißt, Bakterien aus dem Darm können in das umliegende Immun­system gelangen“, erklärt Terjung. Auch Immun­suppressiva, die Men­schen nach einer Transplan­tation einnehmen müssen, könnten zu Verstopf­ung oder Durchfall führen, „sie haben aber, was man heute weiß, keinen großen negativen Effekt auf die Darmflora“.

Eine große Rolle spielen die Nerven: Eine diabe­tesbedingte oder ur­ämische Polyneuropathie (Nervenerkrankung) bringt nicht nur Empfin­dungsstörungen an den Füßen oder Beinen mit sich, sondern be­trifft auch die Organe. „Die Neu­ropathie des Verdauungstrakts zeigt sich in Ma­genentleerungsstörungen und verzögerter Darm­entleerung“, erläutert Kauer. Von „Magenschutz“-Medikamenten wie Pantoprazol raten die KfH-Fachleute ab. Sie haben viele Nebenwirkungen und wir­ken sich negativ auf das Mikrobiom aus.

Eine Neuropathie im Darm kann auch dazu füh­ren, daß Menschen den Stuhl nicht mehr halten können. „Es gibt Patienten, die haben keine gere­gelte Peristaltik, also keine gere­gelte Darm­beweg­lichkeit“, erläutert Oser. „Dann dickt der Darm den Stuhlgang nicht richtig ein, es kann unkontrolliert zu Durch­fällen kommen.“ Betroffe­ne haben zu­wei­len Angst vor Stuhlgang und Durchfall während der Dialyse im Zentrum. Das Unter­brechen der Dia­lyse und Abhängen vom Ge­rät ist kreislaufbedingt schwierig, die Nut­zung ei­nes Toilettenstuhls im Mehrbettzimmer peinlich. Einige wenige Patienten, berichtet Oser, erhalten deswegen vor der Dialyse Medikamente gegen Durchfall.

Eine Frage der Haltung

Zu häufig oder zu selten – Beschwerden beim Stuhlgang sind unange­nehm. Ab wann spricht man von einer Verstopfung? Nicht jeder habe je­den Tag Stuhlgang. Es sei auch normal, nur jeden zweiten Tag den Darm zu entleeren, sagen die Fachleute. Oser erläutert die ärztliche Vorgehens­weise: „Hat jemand zwei oder drei Tage lang kei­nen Stuhl­gang, prüfen wir, ob Darmgeräusche zu hören sind. Spätestens am drit­ten Tag ohne Stuhlgang sollte man dies dem Arzt mitteilen, zum Bei­spiel bei der Dialysebehandlung. Wirklich Sorgen machen wir uns bei gut hörbaren Darmge­räuschen erst am fünften Tag ohne Stuhl­gang.“

Manchmal ist es eine Frage der Physik. Stuhlgang sollte generell nicht eingehalten werden, auch der Sitz auf der Toilette ist von Bedeutung. Oser rät: „Nicht gerade auf der Toilette sitzen, sondern leicht nach vor­ne gebeugt. In dieser Haltung ist die Darmentleerung leichter. Man kann sich auch eine kleine Unterlage für die Füße vor die Toilette stel­len.“

Ist der Stuhlgang sehr fest und trocken, kann er schmerzhaft für den After sein. Hier hel­fen spezielle Cremes oder Vaseline. Auch Vaseli­ne-Zäpfchen sind eine Option, genauso wie bei sehr hartem Stuhl Zäpf­chen, die Kohlendioxid freisetzen – der Enddarm bläht sich so auf, die Wirkung tritt recht bald ein. Klar ist: Eine gut funktionierende Verdauung bringt ein großes Maß an Lebensqualität mit sich. Es lohnt sich, dem Darm Gutes zu tun.

aus: KfH aspekte 3/21


Das Mikrobiom, Ökosystem im Köper

Unser Köper ist von Billionen von Bakterien und Viren besiedelt, vor allem im Darm. Diese Lebens­gemeinschaft ist Teil unseres Stoffwechselsystems und wichtig fü die Gesund­heit. Noch ist das Mikro­biom, die Darmflora, in weiten Teilen unerforscht. Was wir wissen: Das komplexe Ökosystem funktio­niert nur durch das Zusammenspiel verschiedener Organismen, hilft bei der Verdauung und schäzt vor Krankheitserre­gern.

Bei Störung

Das Mikrobiom steuert biologische Prozesse. Ein Ungleichgewicht, beispielsweise durch unausgewo­g ene Ernährung, kann zu Reizdarm, Verstop­fung, Durch­fall, Fettstoff­wechselstöungen, Herz-Kreis­lauf-Erkrankun­gen, Allergien, Rheuma, Haut­krank­heiten oder Depressionen führen. An­dererseits kann sich eine gute Darmflora positiv auf die Niere auswirken, sagen Wissenschaftler.

Faktor Ernährung

Ungünstig für das Gleichgewicht im Mikrobiom sind zum Beispiel Weißmehlprodukte, Zucker, Schweinefleisch, Süßigkeiten, Fertiggerichte. Ernäh­rungsmediziner empfehlen eine medi­ter­rane Kost, wobei Dialyse­patienten besonders auf kalium- und phosphatreiche Lebensmittel achten müssen.


Geeignete Lebensmittel*

(bitte unbedingt in Ab­sprache mit der behandelnden Neph­rologin bzw. dem be­handelnden Nephro­logen)

Vollkornprodukte: Vollkornbrot, Hafer, Roggen, Gerste, Weizen – in kleinen Portionen (handvoll). Getränke: grüner Tee (unter Beachtung der Trink­menge).

Nüsse und Samen: Flohsamen (unter Beachtung von Phosphat/Kalium (ein Eßlöffel/Tag).

Gemüse: Zwiebel, Lauch, Knoblauch, Schwarzw­ur­zel, Wirsing, Topinambur, Arti­schocke, Chicorée, Mais (kaliumarm zubereiten)

Tiefkühlkost (vorher wässern).

Obst: Beerenfrüchte, Apfel, Birne, Quitte (unter Beachtung der Kaliummenge, ärztliche Rück­spra­che wichtig).

*Auswahl für nierenkranke Patienten,

Quelle: Dr. Bertil Oser/Ruth Kauer, KfH-Nieren­zentrum Bern­kastel-Kues