Die Mehrzahl der chronisch nierenkranken Patien­ten kann zwischen unterschiedlichen Therapien wählen. Ob Hämodialyse, Bauchfelldialyse, Trans­plantation oder der Verzicht auf eines dieser Nie­renersatzverfahren und stattdessen eine konserva­tive Therapie: Patient und behandelnder Arzt ent­scheiden immer gemeinsam über die passende Be­handlung.

Es hat sich bewährt, dem Patienten Zeit zu ge­ben, sich auf die Therapieform vorzu­bereiten – die Gespräche mit anderen Patienten sind dabei wertvoll.“

Prof. Dr. Matthias Girndt, ärztlicher Leiter KfH-Nierenzentrum Halle

Eine Nierenersatztherapie verändert den Alltag der Patienten stark. Umso wichtiger ist es, daß für jeden die individuell pas­sende Behandlung gefunden wird. Dies geht nur, indem neben den medizinischen Fakten weitere Facetten wie Alter, Berufstätigkeit und soziales Umfeld, aber auch Wünsche und Bedürfnisse des Patienten selbst berücksichtigt werden. Ist die Funktion der Nie­ren so stark eingeschränkt, daß sie ihre Aufgaben nicht mehr übernehmen können, stehen Arzt und Patient vor einer schweren Entscheidung. Ersatz­therapien können Ab­fallprodukte des Stoffwech­sels aus dem Blut filtern, die sonst über den Urin aus­geschieden werden. Zu diesen Therapien zäh­len die Hämodialyse und die Peritonealdialyse. Neben der Dialyse gibt es dann noch als weiteres Nierenersatzverfahren die Nieren­transplantati­on. Und schließ­lich besteht, vor allem bei hochbe­tagten Patienten, auch die Option, eine konserva­tive Therapieform zu wählen.

Häufig mehrere Optionen

Hat denn der nieren­kranke Patient überhaupt die Wahl? „Auf jeden Fall! Die Mehrzahl der Patienten hat sogar mehre­re Wahlmög­lichkeiten“, sagt Professor Dr. Matthi­as Girndt, ärztlicher Leiter des KfH-Nierenzen­trums Halle.

„Hämodialyse ist fast bei jedem Pati­enten möglich. 30 bis 40 Prozent der Patienten könnten, medizinisch gesehen, die Bauchfelldialy­se wählen“, erläutert Girndt. Aufgrund der vielen Begleiterkrankungen sind nur etwa zehn Prozent aller dialysepflichtigen Patienten für eine Nieren­transplantation geeignet.

Doch die Wartezeiten für ein Spenderorgan sind sehr lang. Daher beraten die Ärzte auch zum Pro­gramm „Old for Old“. Das Eurotransplant-Senio­renprogramm ist ein Angebot für Patienten, die älter als 65 Jahre sind. Organe älterer, verstorbe­ner Spender werden an ältere Patienten vermit­telt. Dabei spielen Gewebemerkmale eine unter­geordnete Rolle. Der Fokus liegt auf kurzen Transportwegen, sodaß gute Transplantationser­gebnisse erreicht werden können. Bei der Anmel­dung zur Transplantation muß entschieden wer­den, ob der Patient dafür eingetragen werden möchte. Dank des Programms bekommen ältere Menschen in der Regel schneller ein neues Organ. Die durchschnittliche Warte­zeit beträgt hier um die zwei Jahre, regulär sind es im Durchschnitt sechs Jahre. (Anm.: eher acht bis zehn, siehe aktu­elle Zahlen DSO.) Der Patient muss sich jedoch festlegen, es ist eine „Entweder-oder-Entschei­dung“ „In der Praxis hat dieses ‚Entweder-oder‘ allerdings kaum Bedeutung“, berichtet Girndt, „denn in diesem Alter würde es für die meisten zu lange dauern, über die reguläre Warteliste eine neue Niere zu erhalten.“

Schließlich gebe es auch noch den Verzicht auf ein Nierenersatz­verfahren als Option, erklärt Girndt. „Diese Möglichkeit wird natürlich ein jüngerer Mensch nicht wählen. Wichtig zu wissen: Dieser Verzicht ist ebenfalls eine aktive Therapie“, betont Girndt, „es ist kein Nichtstun, sondern bedeutet, daß eine konservative Therapie gestartet wird. Wählt man diese Therapieform, wird der Patient sym­ptomorientiert, also mit Medikamenten, be­handelt. Geht man den Weg bis zum Ende, dann mündet dies letztlich in eine Palliativbehandlung. Man verzichtet auf Ersatzverfahren und hat damit nicht mehr eine Verlängerung der Überlebenszeit im Focus. Früher gab es dies nur in der Onkologie, inzwischen ist auch die nephrologische Palliativ­therapie anerkannt. Sie ist für hochbetagte Pati­enten nicht unbedingt mit weniger Lebenszeit und oftmals mit einer höheren Lebensqualität verbunden.

Ob diese Therapie tatsächlich in Frage kommt, muß sehr ausführlich mit dem Patienten geklärt werden. „Ändert sich die gesundheitliche Situati­on oder ändert der Patient seine Meinung, dann muß diese Form der Behandlung auch nicht zwin­gend beibehalten werden“, erklärt Girndt.

Mehrstufige Beratung

Für eine ganzheitliche Beratung ist erforderlich, daß der Arzt neben dem medizinischen Wissen auch über das persönliche Umfeld des Patienten Bescheid weiß. „Es ist in jedem Fall eine mehrstu­fige Beratung“, erklärt Girndt den Fin­dungspro­zeß. „In erster Linie sehe ich die ärztliche Bera­tung. Wenn erkennbar ist, daß ein Nierenersatz­verfahren not­wendig wird, dann stelle ich die vier grundsätzlichen Optionen vor, um den Patienten in den Entschei­dungsprozeß mit einzubinden: Bauch­felldialyse, Hämodialyse, Trans­plantation oder konservative Therapie.

Es ist nicht mehr wie früher, daß die Ärzte sagen, ‚ich weiß, was gut ist‘, sondern auch, wenn man ärztlicherseits bei­spielsweise den Eindruck hat, der Patient sollte besser Hämodialyse machen, sollte man ihm die Chance geben, die Alternativen zu verstehen, um dann gemeinsam herauszufinden, was dem Pati­enten am ehesten gerecht wird“, rät Girndt. Der Patient ist dann aktiv in den Prozeß eingebunden. „Es wäre nicht richtig, ihm nicht alle Möglichkei­ten zu nennen“, davon ist Girndt überzeugt. In dem Forschungsprojekt CORETH („The Choice of Renal Replacement Therapy“; darin wurden 780 nierenkranke Patienten in 55 deutschen Dialyse­zentren zwischen 2014 und 2016 befragt) konnte belegt werden, daß alleine dieses Gefühl, einge­bunden zu sein, zu einer höheren Zufriedenheit beim Patienten führt.

Stellt man alle Verfahren vor und wägt Kriterien und Argumente, was für das eine oder das andere sprechen könnte, gemeinsam mit dem Patienten ab, dann kann dieser sich ein konkretes Bild ma­chen und seine Wünsche, Vorstellungen, aber auch Sorgen mit einbringen.

In einem nächsten Schritt gibt Girndt seinen Patienten Informations­materialien an die Hand. Die Deutsche Gesell­schaft für Nephrologie (DGfN) beispielsweise bie­tet Patien­tenfilme zu unter­schiedlichen Themen wie Dialyse oder Trans­plantation an. Auch das KfH hält entsprechende Patienteninformationen bereit. Sie finden diese im Internet unterkfh.de/infomaterial/patientenratgeber, nierenwis­sen.de und kfh-heimdialyse.de.

In einem weiteren Schritt können die Pflegefach­kräfte dem Patienten die einzelnen Verfahren in der Praxis vor Ort vorstellen. Dazu gehört auch, daß der Patient ggf. mit anderen Patienten spre­chen möchte. „Dieser Blick in die Praxis und der Austausch untereinander ist erfahrungs­gemäß sehr hilf­reich“, sagt Girndt. Es ist von Vorteil, mit jemandem zu sprechen, der den Behand­lungsweg gegan­gen ist, den man für sich vielleicht auch wählen möchte. „Es hat sich auch bewährt, dem Patienten Zeit zu geben, sich auf die Therapie­form vor­zubereiten – und gerade die Gespräche mit anderen Patienten sind dabei sehr wertvoll“, weiß Girndt.

Eine wichtige Hilfe bei der Entscheidung über die Therapieform bietet auch die KfH-Sozialberatung. Gerade im Bereich der Vereinbarkeit Beruf und Dialyse gibt es sehr viele komplexe sozialrechtli­che Regelungen. Diese können bei der Entschei­dung auch eine wichtige Rolle spielen. Sie erreichen die KfH-Beratung entweder durch die Sozialberatung vor Ort oder über das KfH-In­fotelefon 06102-359700.

Das individuelle Verfahren finden

Welche Rolle spielt die Lebensqualität bei der Wahl der Behandlung? „Man kann nicht sagen, daß eines der Verfahren zu mehr Lebensqualität führt. Das geht nicht pauschal“, weiß Girndt. Der Patient muß sich in die Ent­scheidungsfindung einbe­zogen fühlen und muß das Verfahren wäh­len, das am besten zu seinem Typ und seinen Le­bensumständen paßt. Menschen mit einem hohen Autonomiebedürfnis wählen häufig eine Heimbe­handlung. Andere möchten die Krankheit nicht zu Hause behandeln, sondern bevorzugen eine klare Trennung zwischen Privat­leben und Behandlung. Wichtig ist, daß man dem Patienten die Chance gibt, herauszufinden, was für ihn am besten ist.

Dies belegen auch die Ergebnisse der bereits er­wähnten CORETH-Studie. Forscher gingen dabei der Frage nach, wann Peritoneal- und Hämodialy­sepatienten mit ihrer Behandlung zufrieden sind. Die Ergebnisse zeigen, daß die partizipative Ent­scheidungsfindung, also die gemeinsam von Pati­ent und Arzt verantwortete Übereinkunft zur me­dizinischen Behandlung, eine enorme Bedeutung hat. So können Nephrologen schon bei der Auf­klärung über die unterschiedlichen Verfahren Ängste abbauen. Forscher kommen sogar zu der Erkenntnis, daß hinsichtlich der Behandlungszu­friedenheit in der Frühphase der Dialyse die phy­sischen und medizinischen Aspekte hinter die psychischen und kommunikativen Faktoren tre­ten. Das untermauert die Wichtigkeit einer um­fassenden Beratung und Information des Patien­ten weit vor Dialysebeginn.

Wichtig zu wissen: Nach einer einmal getroffenen Entscheidung ist es nicht trivial, das Verfahren zu wechseln. Schließlich muß bei der Dialyse immer operativ ein spezieller Zugang gelegt werden. „Grundsätz­lich ist aber ein Wechsel möglich“, sagt Girndt. Den Patienten auf diese Option hinzuwei­sen, falls er nach einiger Zeit mit dem gewählten Verfahren nicht zufrieden sein sollte, gehört zur umfassenden Aufklärung dazu.

Prof. Dr. Ute Hoffmann

Chefärztin für Allgemeine Innere Medizin und Ger­iatrie, Angiologie, Diabeto­logie, Endokrinologie und Nephrologie, Krankenhaus Barmherzige Brü­der Re­gens­burg und Ärztin im KfH-Nierenzentrum Regens­burg, Günz­straße

Sie sind spezialisiert auf Nierenerkrankungen bei älteren Menschen. Wie unterscheidet sich deren Behandlung?

Viele ältere Menschen bauen im Vergleich zu jün­geren während der Behandlung körperlich und geistig schnell ab. Gerade Patienten, die älter als 80 Jahre sind und neben der Nierenerkrankung an Diabetes oder einer Herzerkrankung leiden, haben oft keine gute Prognose. Eine konservative Behandlung ohne Dialyse ist dann häufig

eine gute Alternative mit höherer Lebensqualität für den Patienten und sollte in der Therapieent­scheidung in Erwägung gezogen und mit dem Pa­tienten besprochen werden. Ganz wichtig ist hier: Der Patient muß nach ausführlicher Information aller Möglichkeiten das letzte Wort haben, er ent­scheidet!

Aus welchen Elementen besteht diekonserva­tive Therapie?

Die wichtigste Voraussetzung für die konservative Therapie ist die Erstellung eines interdisziplinä­ren Teams, bestehend aus Nephrologen, dem All­gemeinmediziner, gegebenenfalls einem Palliativ­mediziner, den Angehörigen und eventuell einem Pflegedienst. Dieses Betreuungsteam kümmert sich um die Erfassung der Probleme und um die individuelle Versorgung des Patienten. Die Sym­ptome können so zum großen Teil kontrolliert werden, zum Beispiel Schmerzen können gelin­dert und der Wasserhaushalt und die Blutsalze durch Medikamente oder eine Trinkmengenemp­fehlung reguliert werden. Auf strikte Ernährungs­empfehlungen wird in der Regel verzichtet. Die Patienten sollen essen, was ihnen schmeckt, nur auf zu kaliumreiche Speisen wie zum Beispiel zu viel Obst oder Gemüse sollte verzichtet werden. Auch auf psychologische Aspekte inklusive Angst­gefühle kann durch Aufklärung, Beruhigung, psy­chologische Begleitung, gegebenenfalls Psycho­therapie und medikamentöse Therapie eingegan­gen werden.

Wichtig ist auch die adäquate Versorgung zu Hau­se, gegebenenfalls die Beantragung von Pflege­graden, die Etablierung von Pflegedienst oder die Organisation von Pflegeheim oder Hospiz. Es soll­te auch eine Hilfestellung bei Vorsorgevollmach­ten und Patientenverfügungen angeboten wer­den.

Welchen Gewinn erhoffen sich Patienten durch den Verzicht auf die Dialyse?

Autonomie sowie keine Verlängerung eines Lei­dens. Die meisten Betroffenen, die sich für eine konservative Behandlung entscheiden, möchten so lange wie möglich selbst zu Hause versorgt und nicht dreimal pro Woche zur Dialyse ge­bracht werden. Eine Studie an 467 älteren Patien­ten, die nicht an der Dialyse und im Schnitt 82 Jahre alt waren, zeigte: 52 Prozent wiesen nach zwölf Monaten stabile oder weniger Symptome auf, 58 Prozent berichteten über eine stabile oder bessere Lebensqualität.

aus: KfH aspekte 1-20

Ansprechpartner für Nierenkranke sind selbst­verständlich auch alle anderen niedergelassenen Nephrologen, Nierenzentren sowie Selbst­hilfegruppen und das kostenfreie Nierentelefon.